Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
Hungergefühl. Er seufzte. Der Magen musste warten. »Was hat Samantha Kurzius in Moosbach gewollt? Stand sie am Anfang eines Urlaubs? Dagegen spricht, dass sie ohne Gepäck unterwegs war. Vielleicht hat sie Freunde in der Gegend. Das würde erklären, dass sie nirgends gemeldet war. War sie verabredet? Wenn ja, mit wem? Mit ihrem Mörder, oder war sie nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Platz?«
»Schon der zweite Niederrheiner, der in diesem merkwürdigen Moosbach ermordet wird. Das ist doch kein Zufall!« Der Archivar sprach mehr zu sich selbst. Er hatte die Augen geschlossen und seine Filzpantoffeln weit von sich gestreckt.
Ob Schrievers meditiert, um seinen Hunger loszuwerden, dachte Frank und beobachtete fasziniert den gleichmäßigen Rhythmus, mit dem sich der mächtige Bauch des Archivars hob und senkte. Ein paar Kilo weniger täten der Gesundheit des Kollegen schon gut.
»Denk’s nicht einmal.« Schrievers’ Stimme klang einerseits beiläufig, gleichzeitig aber scharf geschliffen wie ein Ausbeinmesser.
Frank fühlte sich ertappt. Beobachtete der Dicke ihn etwa durch seine halb geschlossenen Lider? Das Knurren in seinem Magen wurde stärker.
»Das kann kein Zufall sein.« Frank wollte sich nichts anmerken lassen.
»Na ja, ich weiß nicht. Immerhin fahren jedes Jahr Hunderttausende nach Bayern in Urlaub.« Schrievers schmatzte leicht beim Sprechen, als läge er schon im Halbschlaf.
Aber Frank ließ sich nicht in die Irre führen. Stattdessen zitierte er einen von den Sprüchen, die Lisa mit Leidenschaft sammelte und der aktuell an ihrer Kühlschranktür klebte: »Hunger und Liebe sind die Triebkräfte aller menschlichen Handlungen.«
»Hä?« Schrievers blinzelte überrascht.
»Anatole France. Hängt bei uns am Kühlschrank.«
»Wer?«
»Französischer Schriftsteller.«
Schrievers richtete sich auf und sah seinen Freund und Kollegen verständnislos an.
»Guck nicht so, Heini, äh, Heinz-Jürgen. Ich meine ja nur, dass die Kurzius vermutlich mit jemandem verabredet war. Und dass ich Hunger habe.«
Behände wie ein Eichhörnchen richtete sich der Archivar in seinem knarzenden Bürostuhl auf. Das Schlüsselwort hatte seine Wirkung nicht verfehlt. »Das ist mal ein Wort.«
Keine zehn Minuten später saßen die beiden Polizeibeamten bei einem »Schutzmannteller« in der Polizeikantine und ließen sich Currywurst und Fritten schmecken.
»Es geht doch nichts über eine gehörige Portion mehrfach gesättigter Fettsäuren.« Frank grinste.
»Du kannst mir nichts anhaben.« Schrievers zog eine Frittenstange mit den Fingern genüsslich durch einen Berg Mayonnaise und seufzte zufrieden. »Ich freu mich schon auf den Herbst. Wildsaison, Knödel mit Rotkohl. Gertruds Knödel sind die hohe Kunst der Kartoffelverarbeitung.«
Frank schüttelte den Kopf. Im Sommer an Kartoffelklöße denken konnte auch nur der Dicke. Er trank einen Schluck Mineralwasser und sah nachdenklich Laumen hinterher, der einen einsamen Zitronenjoghurt auf einem Tablett vom Tresen zu einem freien Platz balancierte und sich dabei herausfordernd nach allen Seiten umsah.
»Was können wir noch tun, um die Kollegen in Kempten zu unterstützen?«
Der Archivar zuckte mit den Schultern. »Wenig. Samantha Kurzius ist in Laar bei einer Tante groß geworden, die Eltern sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Die alte Frau ist inzwischen aber auch schon gestorben.« Schrievers schüttete sich noch einmal Mayonnaise aus der Plastikflasche auf seinen Teller. »Samantha hat bis zu ihrer Ermordung in einer kleinen Wohnung hier in der Stadt gelebt. Die Nachbarn haben sie nur selten gesehen. Und auch die Kommilitonen an der Uni in Düsseldorf kennen sie wenig bis gar nicht. Also, was sollen wir tun?«
»Sie war hübsch.« Frank beobachtete Laumen, wie er den Deckel von seinem Joghurt zog und ihn langsam und gründlich ableckte.
»Sie hätte Model werden können.« Schrievers folgte Franks Blick. »Ekelhaft.«
»Zu viel Mayo?«
»Quatsch, Laumen.« Schrievers deutete mit einer Frittenstange auf den Verwaltungsangestellten.
»Kein Wunder, dass er alleine am Tisch sitzt.«
»Wie geht es eigentlich Lisa?«
Frank nickte. »Gut.«
»Was heißt das?«
»Gut heißt gut.« Was meinte Schrievers nur?
»Dann is’ ja gut.«
»Was willst du mir eigentlich sagen, Schrievers?«
»Ich habe sie nur schon länger nicht mehr gesehen. Hattet ihr nicht vor, demnächst übers Wochenende wegzufahren?«
»Wie soll das gehen? Gerade jetzt?
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