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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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lassen, der so dicht war, dass nur dämmriges Licht durch das dichte Blätterdach fiel. Blühende Lianen schlangen sich um knorrige Bäume, Num-Num-Blüten dufteten betörend. Stachelige Opuntien mit leuchtend gelben Blüten verwehrten den Zugang zum Strand. Kleine Vögel huschten durch die Zweige, braun glänzende Skinke glitten von den sonnenerhitzten Steinstufen in den kühlen Schatten.
    Jills weites Sommerkleid flatterte im Wind, die Sonne brannte ihr auf der Haut. Ihr Ärger ebbte ab. Der Strand war sehr belebt, in Gauteng hatten bereits die Sommerferien begonnen. Der Aussichtsturm der Rettungsschwimmer war voll besetzt, am Fuß des Turms lagen Rettungsbojen und Surfbretter bereit. Während der Hochsaison kamen sie mehrere Male am Tag zum Einsatz. Zwischen den Baken, die den Badestrand begrenzten, wimmelte es von Menschen, die sich enthusiastisch in die Brandung warfen. Jill wurde an die frisch geschlüpften Ledernackenschildkröten erinnert, die sie an einem der einsamen Strände Maputalands, der nördlichsten Region Natals, beobachtet hatte. Zwei junge Frauen – trotz des schwarzen Schadors, der sie von Kopf bis Fuß verhüllte, war ihre Jugend in ihren graziösen Bewegungen und den blitzenden schwarzen Augen zu erkennen – standen bis zu den Knien im bewegten Meer. Ein Brecher rollte über sie hinweg, durchnässte sie bis auf die Haut. Bevor sie kreischend an Land rannten, standen sie für Sekunden als schwarze Statuen im glitzernden Licht, der hauchdünne Stoff des Schadors zeichnete ihre Figuren genauestens nach. Die Kleinere schien schwanger zu sein.
    Über dem Rauschen der sich brechenden Wellen hörte sie die hellen Rufe der Jungen auf ihren Surfbrettern, die hinter der Brandungslinie auf die perfekte Woge warteten. Ein Skiboot, eines der flachbödigen Brandungsboote mit hochtourigen Außenbordmotoren, röhrte durch das ruhige Wasser zwischen den beiden Felsenriffen, die Granny’s Pool bildeten, und brachte ein paar Hochseeangler zurück. Aus dem Lautsprecher plärrte eine weibliche Stimme, die berichtete, dass nördlich von Umhlanga Delfine gesichtet worden wären und dass man jetzt Tickets für das Delfin-Beobachtungsboot kaufen könne. Von Durban her näherte sich, nur wenige Meter über der Brandung fliegend, knatternd ein Hubschrauber.
    Jill seufzte, wich mit einem Satz eben noch einem Inlineskater aus, der im Slalom durch den Strom der Flanierer auf dem Strandweg sauste. Urlaubszeit in Umhlanga war laut, bunt und heiß, die Strände, Geschäfte und Parkplätze waren überfüllt, die Preise der Hotels und Restaurants stiegen ins Astronomische. Inbrünstig wünschte sie sich nach Inqaba. Ihr Blick ging den Strand entlang nach Norden zur Lagune. Kein Mensch war in der flirrenden Helligkeit zu erkennen. Sie nahm sich vor, morgen ein paar Stunden dort zu verbringen.
    Vor dem Leuchtturm verließ sie den Strandweg und stieg die Treppe zum Oyster Box Hotel hinauf. Der Weg durchs Hotel war der kürzeste ins Zentrum Umhlangas. Sie grüßte die auf der Terrasse herumstehenden Kellner. In der hohen Eingangshalle studierte der Oberkellner, ein distinguiert aussehender Inder, den sie kannte, solange sie sich erinnern konnte, das Tagesmenü. »Hallo, Anil.« Sie winkte. Seinen Nachnamen hatte sie nie erfahren. Etwas erstaunt sah sie, dass er sich wegdrehte, ohne sie zu grüßen. Sie war sicher, dass er sie gesehen und ihren Gruß gehört hatte. Achselzuckend verließ sie das Hotel durch die vordere Drehtür und wanderte durch den prächtigen Garten des Hotels. Der Anblick von einer Familie Mungos, die unter den uralten Natalfeigenbäumen Haschen spielten, ließ sie die Reaktion von Anil gleich vergessen.
    Es waren nur knappe hundert Meter in das geschäftige Ortszentrum. »Einen wunderschönen guten Morgen«, rief sie fröhlich dem schwergewichtigen Ortspolizisten Nzama über den Verkehrslärm zu. Er sah sie an, machte eine Handbewegung, als wolle er den Verkehr anhalten und zu ihr gehen, ließ dann aber seine Hand wieder sinken und starrte sie nur unverwandt an. Tom Miller, der junge Apotheker, mit dem sie zusammen in die Schule gegangen war, stand vor seinem Schaufenster. Als er sie erblickte, verzog er sich blitzartig ins Innere des Geschäfts. Verwirrt sah sie ihm nach und dann wieder hinüber zu Nzama. Der zog hastig den Schirm seiner Polizeimütze über die Augen und schien sich außerordentlich für etwas auf dem Boden zu interessieren. Anil, der Oberkellner, fiel ihr wieder ein. Was war los? Bildete

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