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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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der das Haus auf Inqaba vom restlichen Land abgrenzte, aber kürzlich war etwas passiert, das auch ihr Angst eingejagt hatte.
    Die Familie war kurz nach dem Schlafengehen vom wütenden Gebell von Roly und Poly geweckt worden, das ihnen sagte, dass etwas Ernsthaftes im Gange war. Martin und ihr Vater standen sofort auf, schalteten das Flutlicht vor dem Eingang ein. Phillip rief die Hunde, aber nur Poly folgte. Sie machten sich mit ihren Waffen in der Hand auf die Suche nach der Störung. Über eine Stunde durchkämmten sie das Gelände, fanden aber nichts. Roly blieb verschwunden. Ben entdeckte ihn am nächsten Morgen im Gemüsegarten. Er war tot. Die geschwollene blaue Zunge, der weiße Schaum, der an Lefzen und Brustfell getrocknet war, zeigten, dass er vergiftet worden war. Es war ein Eindringling auf Inqaba gewesen, und er musste direkt vor dem Haus gestanden haben, hatte sie vielleicht durch die hell erleuchteten Fenster beobachtet. Nur zum Schlafen zog Jill die Vorhänge vor. Seitdem sprach auch Phillip Court von einem Zaun, und sie ließ Gitter an allen Fenstern ihres Bungalows anbringen. Und es traf auch Jonas.
    Vor zwei Jahren etwa hatte sie ihren Vater spätabends mit verwundertem Gesichtsausdruck vor seinem Schachspiel sitzend gefunden, das stets im Wohnzimmer aufgebaut stand. Er drehte sich zu ihr um. »Hast du die Figuren verschoben?«
    »Nein, hab ich nicht. Warum?«
    »Es ist merkwürdig. Vor einiger Zeit machte ich, nur so zum Vergnügen, einen Eröffnungszug mit Weiß. Am nächsten Tag antwortete jemand mit einem Zug von Schwarz. Ich dachte, es wäre deine Mutter gewesen, und es bereitete mir großes Vergnügen. Wir spielten die Partie über eine längere Zeit zu Ende. Ich gewann und sprach Carlotta zum ersten Mal darauf an. Zu meinem großen Erstaunen wusste sie nichts davon. Ich begann ein neues Spiel, legte mich auf die Lauer und erwischte Jonas, Nellys Enkel, der heimlich ins Wohnzimmer schlüpfte und den Gegenzug machte.«
    Sie runzelte die Brauen. »Jonas? Woher kann der Schach?«
    Phillips Miene drückte Hochachtung aus. »Er hat es sich offensichtlich aus einem Buch von der Schulbibliothek mit selbst geschnitzten Figuren beigebracht. Seitdem spielen wir regelmäßig. Der Junge ist wirklich intelligent. Ein netter Kerl …« Phillip erlaubte Jonas sogar, Bücher aus Mamas Geschichtenzimmer auszuleihen. Bald ging Jonas in ihrem Haus frei ein und aus. Phillip machte es Spaß, seinen erwachenden Intellekt zu schärfen, ihn herauszufordern. Warf ihm Themen vor die Füße, von denen der junge Zulu noch nie gehört hatte und Tage in fieberhaftem Studium aller einschlägiger Bücher benötigte, um bei der Diskussion mithalten zu können.
    Doch jetzt wurde die Haustür auch tagsüber verschlossen. Nelly und Ben besaßen nur einen Küchenschlüssel. Kam Jonas, musste er läuten, sich anmelden, um Erlaubnis fragen. Er war ausgeschlossen. Langsam schliefen seine Besuche ein.
    »Er wird bald mit der Schule fertig sein«, berichtete ihr Vater, »ich hab ihm einen Studienplatz in Pietermaritzburg besorgt. Er wird dort im Studentenheim wohnen und mit Gleichaltrigen Schach spielen können.« Der Unterton des Bedauerns in seiner Stimme war deutlich. Die Zeit mit Jonas schien er zu vermissen.
    In wenigen Monaten, am 27. April 1994, würden die ersten freien Wahlen in Südafrika stattfinden, und das weiße Südafrika starrte auf dieses Datum wie ein zu Tode verängstigtes Kaninchen auf die Schlange. Dieses Gefühl, dass etwas Wunderbares passieren könnte, das viele im Land gespürt hatten, als sie zutiefst erstaunt zur Kenntnis nahmen, dass Nelson Mandela nach einem Leben hinter Gefängnismauern von Vergeben, Vergessen und dem gemeinsamen Weg in die Zukunft redete, anstatt eine AK 47 zu nehmen und einen Rachefeldzug zu starten, dieses berauschende Gefühl war längst verflogen. Das Land war zerrissen von politischen Unruhen. Bombenattentate, Hinrichtungen durch das Halsband und ganz normale Morde, bei denen es nur um Geld und Gut ging, waren an der Tagesordnung. In den drei Jahren nach Mandelas Freilassung war die Anzahl der Morde um weit über dreißig Prozent gestiegen, und Johannesburg hatte sich den Titel der Mörderhauptstadt der Welt verdient. Parallel dazu stieg die Arbeitslosigkeit unter den Schwarzen auf fast fünfzig Prozent. Viele schwarze Jugendliche, die in Soweto mit Steinen und Stöcken die Mauern der Apartheid gestürmt und so nachhaltig beschädigt hatten, dass sie endlich zusammenbrachen,

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