Ein Leben voller Liebe
trifft es.«
Jetzt wäre sie gern bei ihm gewesen, doch es handelte sich um kein medizinisches Problem. Sie wollte ihn berühren, um ihm Kraft zu geben, und das hatte absolut nichts mit ihrem Beruf zu tun.
»Ich kann tatsächlich nicht einschätzen, welchen Problemen Sie im Moment gegenüberstehen«, wiederholte sie,
»aber ich weiß, wie das ist, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dann kann man nur einen Tag nach dem anderen angehen und neu anfangen. Das bringt mehr, als Sie ahnen. Sie haben mich nicht um Rat gebeten, aber ich bin Ihre Ärztin. Ich weiß, dass es Ihnen nicht gut tut, wenn Sie nur daliegen und sich sorgen, wie das Zusammentreffen mit Ihren Brüdern verlaufen wird.
Die beiden wollen Sie genauso dringend kennen lernen wie umgekehrt Sie die zwei.«
Ryan und Tanner hatten es allerdings viel leichter, weil sie einander unterstützen konnten. Chase dagegen war ganz allein.
Er hatte nur sie.
Bestimmt gefiel ihm das nicht. Sie sah förmlich, wie er sich durch das Haar strich. Am anderen Ende der Leitung war ein scharfes Zischen zu hören, das ihre Vermutung bestätigte.
»Sie sollten hastige Bewegungen vermeiden«, riet Alex.
»Das habe ich auch schon gemerkt«, stellte er trocken fest.
»Ich habe Sie in eine schwierige Lage gebracht, nicht wahr?«
»Ja, allerdings«, räumte sie ein. »Ich könnte Ihre Brüder beruhigen, darf aber nichts sagen. Allerdings ist das mein Problem.«
Chase ließ einige Sekunden verstreichen. »Wenn Sie mir ein leeres Büro und Kleidung verschaffen, können Sie Ihren Plan durchführen.«
Alex setzte sich gerade auf. »Die beiden werden wissen wollen, was ich mit der Sache zu tun habe. Das heißt, dass ich ihnen sagen muss, wer Sie sind und was geschehen ist.«
»Meinetwegen«, gestand er ihr zu. »Ziehen wir es durch, bevor Ryan mich womöglich besucht.«
Chase kam gar nicht dazu zu fragen, wie seine Brüder auf die Neuigkeiten reagiert hatten. Als Dr. Alexandra Larson am nächsten Mittag um ein Uhr in sein Zimmer stürmte, brachte sie seine Reisetasche und die Aktentasche mit. Beides hatte sie aus dem Wrack seines Mietwagens geholt.
Allerdings war sie zu einer Operation gerufen worden.
Daher erklärte sie nur hastig, dass Ryan und Tanner sich mit ihm um halb drei im Konferenzraum im ersten Stock treffen wollten.
Die Schwester sollte ihn hinbringen. Dr. Larson wollte sich später wieder bei ihm melden.
Er hatte nicht einmal Gelegenheit, sich bei ihr zu bedanken.
Und er konnte nicht glauben, dass sie sich seinetwegen so viel Mühe gemacht hatte.
Er konnte auch nicht glauben, wie gern er sie zurückgehalten hätte, als sie kurz seinen Arm berührte und ihm versicherte, alles würde gut werden.
Bisher hatte er sich nie auf Zuspruch von anderen verlassen.
Bestimmt war das bloß eine vorübergehende Erscheinung. Nur ein Narr hätte einen Kompass abgelehnt, wenn er in unbekannten Gewässern segelte. Sobald die vertraute Küste wieder auftauchte, konnte er sich erneut auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen.
Im Moment hätte Chase allerdings nichts dagegen gehabt, wäre Dr. Larson zu ihm gekommen. Seine Brüder konnten jeden Moment den Konferenzraum betreten.
Ein Pfleger hatte Chase hergebracht und den Rollstuhl so gedreht, dass Chase zur Tür blickte. Eines der Telefone stand in Reichweite. Frisch rasiert und geduscht wartete Chase nun in Hemd und Hose, das verbundene Bein abgestützt.
Sein Schneider wäre in Tränen ausgebrochen, hätte er gesehen, was die Schwester mit der Armani-Hose gemacht hatte.
Um sie über das Gestell, das den Knochen fixierte, ziehen zu können, hatte sie die Naht fast bis zur Hüfte aufgetrennt. Chase störte sich nicht daran.
Schritte näherten sich. Chase verkrampfte sich innerlich, ließ sich jedoch nichts anmerken.
Zwei hoch gewachsene Männer blieben in der Tür stehen.
Zwei Augenpaare, blau wie seine eigenen Augen, richteten sich auf ihn.
Sie brauchten sich nicht vorzustellen. Er wusste auch so, wer sie waren. Möglichst unauffällig ließ Chase den Blick von dem Mann in dunkelblauem Blazer und brauner Hose zu dem muskulöseren Bruder in Jeans und Jeanshemd wandern. Beide suchten offenbar bei ihm nach Ähnlichkeiten, die Chase nur zu vertraut waren. So sah er jeden Morgen beim Rasieren die Kerbe im Kinn, die auch Tanner auf wies.
Ryan kam näher und reichte ihm die Hand.
Chase griff danach.
»Ich bin…«
»Ryan.« Chase drückte ihm fest die Hand.
»Dein Bruder«, fügte Ryan hinzu, und seine
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