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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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es verdammt noch mal gut. Ich wünschte, ich hätte eine nette tödliche Krankheit, mit der ich dich nach Hause locken könnte, aber die habe ich nicht. Wenn dein Vater hier wäre …»
    «Er würde mir raten, das zu tun, was ich tun möchte, Ma. Und dieses Jahr möchte ich in London bleiben.»
    «Was ist mit Silvester? Wir haben Silvester immer zusammen gefeiert. Es ist sogar noch schöner als Weihnachten. Ich mache meinen Spezial-Coleslaw. Es wird bombig. Genau wie letztes Jahr.»
    «Hm.»
    «Dieses ‹Hm› ist unverschämt, Fräulein.»
    «Gib mir dieses Jahr frei, Ma. Dann komme ich vielleicht nächstes Jahr.»
    «Klar. Nächstes Jahr könnten wir zwar alle tot sein, aber gut.»
     
    Orla trommelte ihre Klasse im Treppenhaus zusammen und beschrieb die Reaktion des akademischen Direktors auf die Nachricht, dass die Decke ihres Klassenzimmers heruntergestürzt war.
    «Es waren Flüche. Wenn er langsamer gesprochen hätte, dann hättet ihr sie sicherlich verstanden.» Ihre Schützlinge fluchten bereits äußerst sprachgewandt.
    Schief grinsten sie einander an. Sie zitterten, waren aber froh, an diesem Donnerstag schon nach einer Stunde freizubekommen, einem Tag, der normalerweise mündliche Tests und strenge Blicke ihrer Lehrerin brachte.
    «Also, es ist heute für uns kein anderes Zimmer frei, weil …» Orla hatte die Gründe ihres Chefs nicht wirklich verstanden. «Jedenfalls hat die Verwaltung zugesagt, dass sie später oder morgen ein Eckchen für uns finden werden. Bis dahin könnten wir einfach übergangsweise in einem Café oder – he!» Sie sprach nur noch zu den Rücken ihrer Studenten, denn die stoben bereits auseinander.
    «Faules Pack», sagte Abena voller Zuneigung.
    «Abena, wenn Sie möchten, können wir beide …»
    «Machen Sie Witze?» Abena umarmte sie und verdrängte den Winter mit dem Sonnengeruch des Öls in ihrem Haar. «Tschüs!»
    Also fand sich Orla nun zu Hause auf ihrem Sofa wieder, und das iPad auf ihrem Schoß leuchtete bunt. Orla hatte sich am Morgen selbst zurechtgewiesen, als sie aufgewacht war und das Tablet wie ein geliebtes Haustier im Arm hielt. Doch hier saß sie nun schon wieder.
    Als Stammgast hatte Orla kein Recht, sich abfällig über eine Seite zu äußern, auf der Normalos ihre Schnappschüsse von Celebritys posteten. Doch ein abfälliger Gesichtsausdruck half ihr, sich ein bisschen weniger beschmutzt zu fühlen, als der Pfeil auf ihrem Bildschirm sich über das Bild von Anthea schob.
    Das unscharfe Foto poppte auf und erfüllte den gesamten Bildschirm. Eine runde Sonnenbrille verlieh Anthea das Aussehen einer flüchtenden Fliege, wie sie da vor der Linse der Mobiltelefonkamera davonlief, mit gesenktem Kopf und zusammengebundenen Haaren. Orla las die Bildunterschrift.
    In echt ist sie winzig und ziemlich unhöflich. Ist einfach an mir und Männe vorbeigerauscht. Fand sie super in der Kurtisane. Hat sie sich in einem alten Film nicht mal nackig ausgezogen?
    Und ob sie das hat
. Orla kannte den Titel
(Sing mir keine Lieder)
, das Jahr, in dem der Film in die Kinos kam ( 1974 ), und die Filmkritik («Ein schwülstiges Märchen aus der Londoner Unterwelt, dem die jungen Schauspieler Leben einhauchen. Enthält eine vielbeachtete Nacktszene. Zwei Sterne»). Sie wusste, dass Anthea selbst den Film 2011 im Magazin
Empire
als «zahmen Low-Budget-Quatsch» bezeichnet hatte: «Ein Busenblitzer und ein bisschen Hintern. Das hatte nichts zu tun mit den expliziten Nacktszenen, zu denen junge Schauspielerinnen heutzutage gedrängt werden.» Orla hatte die unscharfen Standbilder gesehen und die verschwommenen spitzen, kleinen Brüste studiert, die nichts mit der beeindruckenden Füllung des Korsetts der «Kurtisane» zu tun hatten.
    Hilfreicherweise hatte der Fan Anthea fotografiert, als sie gerade an einem Laden namens Primrose Hill Antiques vorbeigehastet war, den Orla in einem kleinen Bezirk der Stadt verortete. Die nachlässig frisierten Haare und die ausgebeulte Jogginghose hatten Orla zu dem Schluss veranlasst, dass sich die Schauspielerin nicht weit von zu Hause entfernt aufhalten konnte.
    Der Adrenalinstoß fühlte sich mittlerweile vertraut an. Orla sammelte Daten (ein hochgegriffenes Wort, das beinahe so etwas wie Achtbarkeit suggerierte), und jedes neue kleine Fitzelchen brachte sie ein Stück weiter an ihr Ziel, Antheas Adresse zu lokalisieren. Wenn sie die Adresse hatte, konnte Orla den finalen Akt planen, das Tête-à-Tête, bei dem sie das Tagebuch nach Hause holen

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