Ein Lord mit besten Absichten
das dünne Buch, das sie erst vor Kurzem bei einem Straßenhändler erstanden hatte.
Die kleine Frau schnaubte. »Sie sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, Miss. Diese Schreiberlinge sind ein Haufen Schufte und Taugenichtse, mehr nicht. Nein, die Antwort befindet sich hier drinnen. Und wir finden sie, Miss, machen Sie sich keine Sorgen.« Sie tippte sich mit den Fingern an den Kopf und verzog grüblerisch das Gesicht.
»Aber wir haben doch schon alles versucht. Ich bin am Ende meiner Weisheit – mit Piddle ist es ja schon schlimm, aber Erp wird allmählich zum reinsten Aussätzigen unter den Hunden!«
Die Köchin der Collins’ schürzte die Lippen und zählte an ihren Fingern auf. »Wir haben es mit Getreide, Wild und geschmortem Gemüse probiert. Mit Kartoffeln, Rüben und Bohnen.«
Gillian schüttelte sich. »Die Bohnen waren eine Katastrophe. Womit haben wir es denn noch nicht versucht?«
»Mais?«
»Vor zwei Monaten. Es hat nicht funktioniert.«
Der Blick der Köchin wanderte durch die Küche, als sie im Geist die Speisekammer durchging. »Reis?«
Gillian richtete sich auf. »Reis? Nein, ich glaube, Reis haben wir noch nicht ausprobiert. Meinen Sie, das hilft? Vielleicht, wenn wir …«
Der Lakai Owen unterbrach das Gespräch über die passende Kost der Bluthunde mit der Bitte, Gillian möge im Arbeitszimmer von Lord Collins erscheinen.
Da sie wusste, dass nichts die Geduld ihres Onkels mehr strapazierte, als ihn warten zu lassen, versprach Gillian der Köchin, das Gespräch möglichst bald fortzusetzen, und eilte über die Hintertreppe nach oben. Es blieb keine Zeit mehr, um die Strähnen zu ordnen, die sich aus ihrem hochgesteckten Haar gelöst hatten, oder um sich ein weniger knittriges Kleid überzustreifen. Gillian holte tief Luft und trat vor, als Owen sie ankündigte: »Miss Leigh, Mylord.«
Es geschahen noch Zeichen und Wunder: Onkel Theo lächelte. Gillian zwinkerte vor Überraschung. Normalerweise schenkte ihr Onkel ihr nicht viel Beachtung, geschweige denn fand er etwas an ihr, das ihm gefiel, doch sie erwiderte seine freundliche Miene brav mit einem strahlenden Lächeln. Das so lange anhielt, bis sich ein dunkler Schatten von der Wand löste und vortrat. Ihr Lächeln erstarrte, um dann mit einem leisen Laut des Erschreckens, den nur Weston hörte, zu ersterben. Aus irgendeinem Grunde freute er sich sehr über ihre Reaktion.
»Meine Liebe, ich nehme an, du weißt, warum Lord Weston gekommen ist?«, fragte Lord Collins verschmitzt.
Gillians Magen krampfte sich zusammen. Oh ja, sie wusste, warum er gekommen war. Ihr gestriges Verhalten musste ihn so sehr empört haben, dass er sich gezwungen sah, ihrem Onkel davon zu berichten. Sie blickte ihn wütend an. Hatte er nicht versprochen, nie ein Wort über den peinlichen Vorfall mit dem Straßenkind zu verlieren? Hatte er ihre Entschuldigung nicht angenommen, als sie seine Kutschpferde so erschreckt hatte, dass ihm eines auf den Fuß getreten war? Und hatte er nicht zugegeben, dass die Verletzung gar nicht so schlimm sei und dass man den Stiefel leicht ersetzen könnte und dass sein Page William sich ohnehin gern einmal auf dem Land erholen wollte und die kleine Verletzung an seinem Rücken ein geradezu willkommener Anlass war, der ihm eine Erholungspause von drei oder vier Wochen verschaffte, je nachdem, was der Arzt empfahl? Oh doch, er hatte es versprochen! Sie erinnerte sich ganz deutlich daran, dass er darauf bestanden hatte, das Ganze als einen Unfall zu betrachten, an dem sie absolut schuldlos war. Und jetzt stand er hier und petzte alles! Gillian sah ihn aus leicht zusammengekniffenen Augen an und beschloss umgehend, die Gleichgültige zu spielen. Welche Geschichten auch immer er ihrem Onkel erzählte, sie würde so tun, als wüsste sie von nichts.
»Ja, ich denke, ich weiß, warum seine Lordschaft hier ist«, antwortete sie mit der Würde einer Königin. Die kalte Schulter zeigen würde sie ihm, und nichts anderes. Sie äffte ihn nach, indem sie eine Augenbraue hob und ihn mit einem frostigen Blick bedachte.
»Ah, ausgezeichnet, ausgezeichnet. Und was hast du dazu zu sagen?«, wollte Lord Collins wissen.
»Was ich dazu zu sagen habe?« Gillian wandte sich mit einem fröhlichen kurzen Lachen zu ihrem Onkel um. »Na ja, nichts! Die Angelegenheit ist doch so banal, dass sie nicht der Rede wert ist.«
Theodore Hartshorne, Lord Collins, starrte seine Nichte an, als hätte sie völlig den Verstand verloren. »Die
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