Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
rief mit schwacher, krächzender Stimme: »Vater! Vater! Bist du es?«
Der Sergeant stieß einen langen, klagenden Ton aus, der all den Schmerz entließ, der sich über die Jahre angesammelt hatte. Er sank vor den Füßen seines Sohnes zusammen, am ganzen Leibe zitternd, völlig unfähig, sich zu artikulieren.
Der Hauptmann beugte sich über den Körper seines Vaters. Jeder Gedanke, jetzt noch einen Befehl zu geben, war aus seinem Bewusstsein gewichen.
Die Phalanx löste sich auf.
Hartgesottene Männer, Veteranen des Krieges, liefen mit leeren Händen auf die Bürger Tulivars zu, ihre Blicke suchend. Sie fingen an, Fragen zu stellen: nach Familienangehörigen, nach Verwandten, nach Freunden. Antworten wurden gegeben, manche froh und aufmunternd, andere mit traurigem Kopfschütteln begleitet. Aber es gab Antworten.
Etwa dreißig der Söldner waren geblieben, wo sie waren. Sie stammten aus anderen Ecken des Imperiums. Aber auch sie wirkten nicht mehr wie eine kampfkräftige Einheit.
Ich betrachtete die Szenerie. Ich hatte dies erhofft und es war besser gelaufen, als ich mir hatte ausmalen können. Ich spürte den Kloß in meinem Hals und erinnerte mich an meine Heimat, die ich schon lange vergessen hatte. Oder ich hatte es mir eingebildet. Ich sah Woldan, der den Kopf senkte und sichtlich um seine Fassung rang. In ihm stiegen jetzt die Bilder seiner toten Familie auf. Ich wünschte, ich hätte ihm dies ersparen können. Doch alles war besser, als einen sinnlosen Kampf anzuzetteln. Selbst, wenn ich diese Schlacht gewonnen hätte, so wäre sie am Ende doch für mich verloren gewesen.
Es dauerte eine Weile, dann sah ich, wie die Reiter im Hintergrund ihre Pferde umdrehten und Richtung Süden ritten. Sie verschwanden sehr schnell aus meinem Blickfeld.
Daraufhin gab ich meinen Männern ein Zeichen. Wir zogen uns etwas zurück . Wir mussten die dreißig Söldner im Blick halten, die völlig orientierungslos herumstanden und möglicherweise auf dumme Gedanken kommen würden. Doch dann wandten sich die Männer nach und nach ab und begannen gleichfalls, fast zögerlich, den Weg Richtung Süden zu suchen.
Ich entspannte mich.
In den kommenden Minuten löste sich die Menge auf. Die Bürger Tulivars nahmen die heimgekehrten Männer in ihre Mitte und spazierten langsam zurück zur Stadt. Es gab nichts für mich zu tun, also ließ ich den Dingen ihren Lauf. Hin und wieder sah ich, wie jemand mir zum Abschied einen dankbaren Blick zuwarf. Ich hatte einen wichtigen Schritt getan, um mir die Loyalität meiner Untertanen zu sichern, obgleich ich ursprünglich nichts anderes vorgehabt hatte, als meinen Hintern zu retten. Es war zufriedenstellend, dass mir dies und Weiteres gelungen war.
Woldan führte unsere Soldaten zurück zum Turm. Ich hatte befohlen, die restlichen Söldner aus der Entfernung durch Späher im Blick zu behalten, bis sie, hoffentlich, mein kleines Reich verlassen hatten. Irgendwann stand ich alleine auf der staubigen Straße vor der Stadt, zu meinen Füßen das achtlos hingeworfene weiße Banner. Ich bückte mich, um es aufzuheben, da trat jemand in mein Blickfeld, um mir zu helfen.
Es war Dalina, die Tochter des Mott.
Sie hob das eine Ende des Banners auf, und wir trugen den Stoff zusammen. Dann überließ sie mir das Zeichen unserer Friedfertigkeit, zögerte einen winzigen Moment und sah mich an.
»Baron«, sagte sie schließlich mit seltsamer Förmlichkeit. »Wir haben viele neue Bewohner. Es gibt noch einiges zu besprechen. Mein Vater würde sich freuen, Euch bald wieder in seinem Haus begrüßen zu dürfen.«
Ich nickte. Mott hatte recht. Es gab viel zu tun.
»Ich …« Dalina rang offenbar ein wenig um Worte, doch dann schenkte sie mir tatsächlich ein Lächeln. »Ich werde frischen Kuchen backen. Habt Ihr einen besonderen Wunsch?«
Ich fühlte, wie mein Mund trocken wurde. Mein Herz schlug. Ich hatte einen besonderen Wunsch, aber der hatte nichts mit Backwerk zu tun.
»Es … jeder … alles wird mir köstlich munden«, brachte ich hervor.
Dalina lachte mich daraufhin aus, schüttelte den Kopf und wanderte zurück zur Stadt.
Was für ein perfekter Abschluss eines perfekten Tages, dachte ich mir.
13 Rückkehrer
In den darauffolgenden Tagen gab es eine Reihe von interessanten wie auch anstrengenden Entwicklungen. Erst einmal trafen die Flüchtlinge aus Felsdom ein, zum Glück in einem guten Zustand. Als ihnen die Geschichte über den Söldnerangriff dargelegt wurde,
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