Ein Macho auf Abwegen
Ihr wäre das niemals in den Sinn gekommen. Ein Freispruch würde
niemals etwas an der Tatsache ändern, dass sie letztendlich für Ángels Tod
verantwortlich war. Nein, Christina wollte nichts von ihrem Peiniger. Die
Kinder sollten sich ihre Existenzen mit dem Hotel aufbauen, aber für sie selber
war der Moreno-Familienbesitz tabu. „Es bleibt alles so wie es ist. Ich will
das „Moreno del Mar“ nicht haben“, entschied sie im Bruchteil einer Sekunde.
„Das ist deine Entscheidung, und ich kann dich verstehen. Meldest du dich noch,
wann ihr ankommen werdet?“
„Ich glaube, ich muss noch ein paar Termine stornieren. Mal
sehen, wie ich das hinbekomme. Ich rufe dich wieder an, Pili. Hasta luego!“
Sie legte den Hörer auf und nahm sofort wieder ab, um Marc
diese erfreuliche Neuigkeit mitzuteilen. Er wollte sie auf jeden Fall zur
Verhandlung begleiten und bestand darauf, im „Moreno del Mar“ zu übernachten.
„Ich weiß nicht“, zögerte Christina. „Wir werden bei deinem Sohn wohnen, und
gut is’!“, beendete Marc die Diskussion.
Drei Tage, mehr konnte Christina beim besten Willen nicht
für Marbella frei machen. Sie hätte wirklich gerne noch ein bisschen mehr Zeit
für ihre Kinder gehabt, doch sie konnte es nicht ändern. Auf keinen Fall würde
sie Marc alleine lassen. Er war zu ihrem Lebenszentrum geworden. Er war der
wichtigste Mensch für sie. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Sie konnte
ohne ihn noch nicht einmal hier zu Hause einschlafen, geschweige denn auch nur
ein Auge im „Moreno del Mar“ zubekommen!
- 20 -
Christina schlief in den nächsten vierzehn Tagen fast gar
nicht mehr. Noch nicht einmal Marc war in der Lage sie zu beruhigen. Sie hatte
Angst. Sie fürchtete sich vor ihren Kindern, und der Gedanke an den
bevorstehenden Prozess war für sie der blanke Horror.
Als es dann endlich Richtung Andalusien losgehen sollte, war
sie nur noch ein einziges Nervenbündel.
Nach einem etwas turbulenten Flug landeten sie auf dem
Flughafen von Málaga. Für Christina war dies die erste Reise in ihre alte
Heimat, nachdem sie nach Deutschland zurückgegangen war. Sie verließ das Flugzeug
mit zitternden Knien und schweißnassen Händen. Die Gepäckausgabe lief wie
erwartet schleppend, und sie überkam enormes Verlangen nach einer Zigarette,
obwohl sie seit langer Zeit schon nicht mehr rauchte. „Christina, bitte! Mach
dich doch nicht schon verrückt, bevor es überhaupt losgegangen ist!“, bat Marc
sie, als sie vor dem Gepäckband nervös hin und herlief. Endlich waren die
Koffer da, und sie verließen die Flughafenhalle in Richtung Zollkontrolle.
Entgegen aller Verabredungen, wurden sie im Abholerbereich
bereits erwartet. Pilar winkte ausgelassen, als sie die beiden entdeckte.
„Hola, chica!“
Neben ihr stand Manuel, mit einem riesigen Blumenstrauß
bewaffnet, und er lächelte etwas verlegen mit einem Hauch von Beschämung im
Gesichtsausdruck. Christina blieb fassungslos stehen, als sie ihren Sohn
erkannt hatte. Sie konnte es nicht vermeiden, ihr liefen die Tränen hemmungslos
an den Wangen herunter. Marc legte einen Arm um ihre Schulter. „Komm, nun geh’
schon! Der Junge hat doch so lange auf dich warten müssen.“ Sie war unendlich
froh, diesen schweren Gang nicht alleine tun zu müssen. Schon wieder einmal
brauchte sie Marc in ihrer Nähe, und wenn es nur sein Arm war, der ihr alle
Sicherheit der Welt gab, damit sie diese Schritte überhaupt gehen konnte.
Marc begrüßte Pilar und Christinas Sohn fröhlich, während
Christina bewegungslos wie eine Wachsfigur ihren Sohn anstarrte. „Hola, Mamá“,
durchbrach Manuel die Stille, übergab ihr den Blumenstrauß und umarmte sie auf
das Herzlichste. Christina atmete einmal tief ein. Ein unbeschreibliches
Glücksgefühl durchfuhr sie, als sie die Berührung ihres Kindes spürte.
Vollkommen ergriffen von diesem Augenblick, brach sie in bitterliches
Schluchzen aus. Pilars und Marcs Blicke trafen sich, und sie lächelten sich
verlegen an, als sie gegenseitig Tränen in ihren Augen entdeckten. „Es ist gut,
Christina! Willst du deinen Sohnemann nicht erst einmal anständig begrüßen?“,
befreite Marc sie aus ihrer Lähmungszustand.
Christina konnte nur stockend flüstern. „Hola, mein Junge!
Danke für die Blumen. Sie sind wunderschön!“
Die erste Hürde war also genommen. Im Wagen sprachen die
Vier schon etwas unbefangener miteinander, und Christina wunderte sich ein
wenig darüber, wie
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