Ein Macho auf Abwegen
selber genug davon. Christina wusste selbst am besten, wie solche
Menschen andere unterdrücken und zum Schweigen bringen konnten.
Inge Fink nahm Heikes Hand und fragte: „Konntest du denn gar
nichts dagegen unternehmen? Gab es denn niemanden, dem du dich anvertrauen
konntest?“ Heike schüttelte schweigend den Kopf. Die kleine Nicole saß
weiterhin vollkommen teilnahmslos auf dem Schoß ihrer Mutter. Ihre Augen
starrten ins Leere, und sie schien sogar ihre Ohren abgeschaltet zu haben.
Nicole nahm ihre Umgebung überhaupt nicht wahr. Heike fuhr mit ihrem Bericht
schluchzend fort: „Er hat mich doch die ganze Zeit über auch bedroht.“
Die gleiche Masche zog er mit seiner Frau auch ab.
Vergewaltigung und perverser Sex gegen Geld mit fremden Männern. Oftmals nicht
nur mit einem. Logischerweise wurde das alles auch gefilmt. Ihr Ehemann agierte
als Regisseur, Kameramann und Händler. Drei in einem. Er verdiente so viel Geld
damit, dass er als Arbeitsloser viel mehr hatte als er jemals in seinem Beruf
als Bauarbeiter verdienen würde. Der Mann drohte Heike damit, das Mädchen in
den Ostblock zu verschleppen, wenn sie nicht alles machte, was er von ihr
verlangte.
Christina glaubte der Frau jedes Wort. Sicherlich hätte
dieser brutale Kerl seine Drohung wahr gemacht. Sein Kind war ihm nur das Geld
wert, was sie ihm einbrachte. Ihr Hals schnürte sich langsam zusammen, und
Christina begann schwer zu atmen. Das war einfach zuviel für ihre Nerven. Sie
lief in das Nachbarzimmer, riss das Fenster sperrangelweit auf und versuchte
die frische Nachtluft einzuatmen, bis Frau Fink ihr von hinten eine Hand auf
die Schulter legte. „Was haben Sie, Christina? Sind Sie krank? Haben Sie
Asthma?“ Christina winkte keuchend ab. „Ist schon gut ... Ich brauche nur ein
bisschen frische Luft ... Alles okay ... Ich bin gleich wieder fit!“ Inge Fink
vergewisserte sich noch einmal, dass es Christina besser ging und verließ dann
wieder den Raum.
„Ich habe doch keine Beweise! Jetzt habe ich ihn angezeigt,
und wahrscheinlich wird er ungestraft davonkommen!“, rief Heike panisch, als
Christina wieder dazukam. „Wenn ich wenigstens so einen Film hätte! Ich habe
fast jeden Tag die Wohnung abgesucht. Ich weiß nicht, wo er die Videos hat.“
Ja, wenn man wenigsten einen Videofilm hätte, dachte
Christina. Sie nahm Heike in den Arm. „Mach’ dir keine Sorgen! Die Polizei hat
ihn ganz bestimmt schon abgeholt, und die werden Beweise gegen ihn finden! Du
brauchst keine Angst mehr zu haben! Hier seid ihr sicher. Es war richtig, dass
du ihn angezeigt hast.“ Sie wandte sich dem kleinen Mädchen auf dem Schoß ihrer
Mutter zu. „Komm mit, Nicole! Ich zeige dir, wo du und deine Mama schlafen
könnt.“ Die Kleine erhob sich wie eine ferngesteuerte Puppe und ging mit
Christina mit. „So, jetzt schlaft euch erst einmal so richtig aus! Wir sehen
uns morgen“, verabschiedete sie sich von dem traurigen Pärchen.
„Können Sie sich in der nächsten Zeit besonders um Nicole
kümmern, Christina? Sie haben einen guten Draht zu Kindern, und die Kleine
braucht jetzt eine Bezugsperson“, sagte Inge Fink, als Christina in ihr Büro
kam. „Ja, mach’ ich, aber mir scheint es fast unmöglich, dass das Mädchen
jemals wieder einem Menschen vertrauen kann. Sie kann ja noch nicht einmal auf
ihre eigene Mutter bauen.“ Inge Fink saß matt und vollkommen erledigt hinter
ihrem Schreibtisch. „Ich habe noch nie ein Kind mit solchen toten Augen
gesehen! Sie müssen es einfach versuchen und Hand in Hand mit der Psychologin
arbeiten. Ohne fachmännische Betreuung geht bei Nicole schon einmal gar
nichts!“
Es war zwei Uhr morgens, als Christina in dieser Nacht das
Frauenhaus verließ. Die ganze Nacht war sie zwischen Bett und Küche hin- und
hergewandert. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ihr endlich
die Augen zu gefallen waren, sah sie Ángel vor sich, wenn er gerade über sie
herfiel. Es war alles wieder da. So plastisch! So reell!
Es ist vorbei, Christina! Er ist tot! Und was willst du
eigentlich? Was ist das, was du erlebt hast, gegen das Schicksal der kleinen
Nicole, die wahrscheinlich noch nicht einmal versteht, was mit ihr passiert
ist. Für das Mädchen hatte dieses widerliche Spektakel angefangen, als sie vier
Jahre alt war. Für dieses kleine Würmchen war das vielleicht sogar normal.
Endlich zeigte der Radiowecker sechs Uhr an. Im
Badezimmerspiegel bot sich ihr ein jämmerlicher Anblick. Nach einer
durchzechten
Weitere Kostenlose Bücher