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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist ein gutes Wort. In Sibirien ist es hart wie das Eis der Lena. Was ist ein Mensch in den Urwäldern der Taiga? Man vermißt ihn gar nicht.
    *
    Im Hause des Reeders Holgerson ging man wie auf Filzpantoffeln. Niemand wagte es, die Nachricht nach oben in die Räume Inkens zu bringen. Selbst der alte Holgerson saß unten in seinem Arbeitszimmer, starrte in den frühlingerwachenden Garten und über die Beete, aus denen die Tulpen, Narzissen und Hyazinthen hervorbrachen, drehte das Telegramm zwischen den Händen und wußte nicht, wie es nun weitergehen sollte. Eine Situation, der er in seinem langen Leben noch nie gegenübergestanden hatte. Immer war es möglich gewesen, einen Ausweg zu finden – aus Finanzkrisen, aus dünnen Auftragsdecken, aus Kollegenintrigen, aus Unglücksfällen, aus familiären Disharmonien. Heute gab es keine Hintertür mehr; es gab nur noch zu überlegen, wie und wann man es Inken sagen konnte.
    Aus Südafrika war ein langes Telegramm gekommen. Das deutsche Konsulat berichtete darin über einen Vorfall, der gegenwärtig noch geheimgehalten wurde und in der Presse noch nicht nachlesbar war. Man nahm Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen beider Staaten und suchte einen Weg, um das Geschehene als Unglück hinzustellen.
    Benno Fahrenkrug, so berichtete das Konsulat, war am vergangenen Freitag mit einem Jeep in den Busch gefahren, um eine Rinderfarm, zweihundert Kilometer landeinwärts, zu besichtigen. Die Farm gehörte einer deutsch-englischen Gruppe und umfaßte ein Gebiet so groß wie der ganze Bayerische Wald. Sieben Stationen lagen in diesem riesigen Farmgebiet; mit farbigen Rinderhütern, die eine Herde von gegenwärtig 17.000 Stück Großvieh betreuten und überwachten.
    Auf eine dieser Stationen, die Station V mit Namen Umlele, wurde in der Nacht zum Sonntag ein Überfall fanatisierter Farbiger verübt. Während die Kuhhirten nur verprügelt wurden, riß man die Weißen, – es waren sieben Mann, aus den Betten, schleifte sie auf den Viehplatz und zerstückelte sie mit den langen Buschmessern. Bis zur Unkenntlichkeit wurden sie zerhackt. Dann verschwanden die Mörder – deren Motive rein politisch waren, denn die Station wurde nicht geplündert – wieder in der Steppe. Anhand des zurückgebliebenen Gepäckes identifizierte man die zerhackten Leichen. Unter ihnen war auch Benno Fahrenkrug.
    Reeder Holgerson war nicht in der Lage, dieses Telegramm nach oben zu seiner Tochter Inken zu tragen.
    Erst dieser Martin Abels, jetzt Benno Fahrenkrug, der Bräutigam – kein Mensch, vor allem, wenn er selbst vom Schicksal gezeichnet war, konnte das noch ertragen. Und doch war es nicht zu verschweigen. Man konnte ein paar Tage vergehen lassen … die Wahrheit wurde sichtbar, sobald die Presse unterrichtet war.
    Holgerson ließ zunächst Professor Dahrfeld kommen und zeigte ihm den Bericht aus Südafrika. »Das ist ja furchtbar«, sagte Dahrfeld und legte das Telegramm zurück. Er mußte einen Kognak trinken, um sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. »Weiß es Inken?«
    »Um Himmels willen, nein!« Holgerson sprang auf und rannte erregt im Salon auf und ab. »Was soll ich tun? Sie müssen mir helfen, Herr Professor! Können Sie es nicht meiner Tochter sagen?«
    »Ich? Nein!« Dahrfeld hob abwehrend beide Hände. »Ich gelte in den Augen Inkens sowieso als eine Art Todesengel. Ihr Bein kann ich nicht reparieren, und nun das noch. Muß sie es überhaupt wissen?«
    »Benno war immerhin ihr Bräutigam. Das Aufgebot ist bestellt. Wir warteten nur noch seine Rückkehr ab; sie sollte in drei Wochen sein.«
    »Und sie liebte ihn wirklich?« fragte Dahrfeld gedehnt.
    »Zuletzt ja.« Reeder Holgerson nickte mehrmals. »Ich weiß, geben wir uns keinen Illusionen hin: Sie hing an diesem Martin Abels mit einer unverständlichen Liebe. Aber nun war das überwunden. Abels ist verschollen, nach Expertenaussagen tot, erschlagen irgendwo in der Mongolei. Das ist etwas Endgültiges. Inken fand sich langsam damit ab und begann Benno zu lieben. Gott sei Dank, dachten wir alle. Und nun das. Von Eingeborenen zerstückelt. Der Rassenpolitik wegen. Was ist aus unserer Welt geworden?«
    »Sie war nie anders, Holgerson. Jede Zeit, jede Generation hat die ihr zustehenden Grausamkeiten. Mal waren es die Hugenotten, mal die Sklaverei, einmal hieß es Napoleon, das andere Mal Hitler, Attila jagte über die halbe Welt, heute erwachen die farbigen Völker und wir, die wir hingemordet werden, haben ihnen vorher auch noch

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