Ein Mann von Ehre
zudringlich zu dir geworden?“, fragte Rosalyn bestürzt.
„Ja, ein Mal, und damals war er betrunken. Ich habe nicht gewagt, das Tante Patricia zu erzählen. Sie vergöttert ihn und will kein Wort gegen ihn hören. Ich nehme an, der Grund dafür ist Onkel Rodericks früher Tod.“ Beatrice hielt inne und wirkte etwas verlegen. „Lord Marlowe finde ich sympathisch. Ich glaube nicht, dass er Onkel Roderick ermordet hat.“
„Ich stimme dir zu“, erwiderte Rosalyn und lächelte flüchtig angesichts Beatrices ernster Miene. „Aber das, was du soeben gesagt hast, solltest du nicht in Gegenwart deiner Tante äußern, meine Liebe. Ich befürchte, dass sie dich dann enterben wird.“
„Mama hat mir fünftausend Pfund vererbt, die treuhänderisch für mich verwaltet werden. Daher bedeutet Tante Patricias Geld mir nichts. Mir wäre es recht, wenn ich sie nach der Hochzeit nicht mehr sehen müsste.“
„Hast du das schon meinem Bruder erzählt?“
„Nein.“
„Dann solltest du ihm das sagen.“
„Meinst du das wirklich? Nun, vielleicht werde ich ihm das mitteilen. Wenn er Tante Patricias Geld auch nicht haben will, kann sie es getrost behalten.“
Plötzlich erblickte Rosalyn in einigem Abstand vor sich auf der Allee zwei Herren, die miteinander plauderten. Sogleich schlug das Herz ihr schneller, denn einer von ihnen war Damian. Sie wollte mit ihm reden, befürchtete jedoch, dann Beatrice in Verlegenheit zu bringen. Aber wenn sie die Richtung wechselte, musste er denken, sie ginge ihm aus dem Weg.
„Oh, da ist der Earl of Marlowe!“, sagte Beatrice und errötete leicht.
„Ja. Sollen wir ihn meiden?“
„Warum? Ich möchte mich gern bei ihm entschuldigen. Außerdem hat er uns bereits bemerkt.“
Rosalyn sah den anderen Herrn sich von ihm entfernen. Damian wirkte einen Moment lang unschlüssig, setzte sich dann jedoch in Bewegung und näherte sich.
„Guten Tag, Mylord“, begrüßte Beatrice ihn, ehe er etwas hatte äußern können. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich bei Ihnen für das ungehörige Benehmen meiner Tante zu entschuldigen, Sir.“
Er zog den Hut und verneigte sich vor den Damen. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, Miss Holland. Mir tut es leid, dass ich Ihnen allen den Abend verdorben habe.“
„Oh, das müssen Sie nicht denken“, erwiderte Beatrice und lächelte Seine Lordschaft an.
„Zu liebenswürdig.“ Er richtete den Blick auf Rosalyn. „Ich habe nicht damit gerechnet, Sie hier zu sehen, Miss Eastleigh.“
„Wir sind seit zwei Tagen in der Stadt, weil es vor der Hochzeit noch allerlei zu erledigen gibt. Am Wochenende fahren wir nach Lyston House zurück.“
„Ich werde einige Tage länger hier sein. Meine Geschäfte nehmen mehr Zeit in Anspruch, als ich dachte.“
„Sie werden uns entschuldigen müssen, Sir“, erwiderte Rosalyn. „Miss Holland und ich sind seit Stunden unterwegs und müssen jetzt nach Haus. Außerdem wollen wir uns noch vor dem Ball bei Lord Renshaw ausruhen.“
„Dann wünsche ich Ihnen beiden einen unterhaltsamen Abend.“
Damian verneigte sich kurz, setzte den Hut auf und schlenderte weiter. Im Stillen seufzte Rosalyn. Sie hatte gehofft, er möge sagen, auch er werde beim Ball sein, der eines der glanzvollsten Ereignisse der Saison zu werden versprach. Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass man ihn eingeladen hatte, denn es gab immer jemanden, der sich an einen alten Skandal erinnerte.
Bedauerlicherweise hatte sie nicht die Möglichkeit gehabt, sich in Beatrices Gegenwart mit ihm zu verabreden. Vielleicht war das sogar besser so. Sie kehrte ohnehin bald nach Lyston House zurück.
Auf der Suche nach Bernard Harrington betrat Damian den vornehmen Spielclub, zu dem er als Gast seines Onkels jederzeit Zutritt hatte. Bislang war es ihm nicht möglich gewesen, Mr. Harrington aufzuspüren. Offenbar hatte er seine Gepflogenheiten geändert. Man hatte Damian jedoch berichtet, dass Mr. Harrington in London war.
„Sehe ich richtig?“, rief ein Mann staunend aus.
Damian drehte sich um und sah seinen Freund Hugh vor sich.
„Bist du das wirklich, Damian? Ich hatte gehört, du seist auf dem Land. Warum hast du dich nicht bei mir sehen lassen?“
Damian freute sich, Hugh zu sehen. Lächelnd schüttelte er ihm die Hand. „Ich wollte dich aufsuchen, aber du weißt doch, wie die Dinge liegen. Ich war mir nicht sicher, ob ich dir willkommen sein würde.“
„Natürlich bist du mir willkommen!“ Hugh zog die Augenbrauen hoch. „Mein Haus
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