Ein Mann von Ehre
sie nicht alles nur noch schlimmer wird.“
Rosalyn setzte sich auf das Bett, ergriff Mrs. Jenkins’ Hand und tätschelte sie beruhigend. Die Hand fühlte sich feucht und sehr warm an. „Sie müssen sich ausruhen. Im Übrigen machen Sie mir keine Umstände. Es tut mir leid, dass Sie sich nicht wohlfühlen.“
„Sie sind sehr freundlich.“ Mrs. Jenkins senkte den Blick. „Es tut mir leid.“ Sie presste das Taschentuch auf den Mund. „Entschuldigen Sie. Mir wird schon wieder übel.“
Rosalyn holte eine Porzellanschüssel und hielt sie Mrs. Jenkins hin, die sich übergab. Als der Brechreiz beendet war, drückte Rosalyn ihr ein feuchtes Tuch in die Hand, damit sie sich den Mund abwischen konnte.
„Sie müssen sich jetzt ausruhen“, sagte sie, nachdem sie die Schüssel zum Nachttopf in das Nachtschränkchen gestellt und ein Glas Wasser geholt hatte. „Trinken Sie etwas. Das hilft Ihnen vielleicht. Aber ich finde, ich sollte den Arzt kommen lassen. Er kann Ihnen ein Medikament geben, das den Brechreiz abklingen lässt.“
Mrs. Jenkins war viel zu schwach, um Einwände zu erheben. Miss Eastleigh, die sie als Feindin betrachtet, beleidigt und bedroht hatte, war soeben viel liebenswürdiger und teilnahmsvoller zu ihr gewesen, als sie es hätte erwarten können. Sie fühlte sich verlegen und etwas beschämt. Rasch wandte sie den Kopf ab, und die Tränen traten ihr in die Augen.
Ihr Leben lang war nur ihr Bruder Roderick für sie von Bedeutung gewesen. Sie hatte sich bemüht, auch Bernard gern zu haben, und viele seiner Schulden beglichen. Aber sie konnte nicht diese innere Beziehung zu ihm haben wie zu ihrem geliebten Roderick. Sein Tod in so jungen Jahren hatte auch sie fast umgebracht und zu der mürrischen Frau gemacht, die sie jetzt war.
Natürlich konnte Rosalyn nicht ahnen, was Mrs. Jenkins dachte. Ihr Mitgefühl war geweckt worden, nachdem sie gesehen hatte, wie leidend Beatrices Tante war. Sie hatte spontan reagiert und meinte, nicht besonders freundlich gewesen zu sein.
Ein Stallbursche wurde zum Doktor entsandt. Mrs. Simmons bekam Anweisung, sich gut um die Kranke zu kümmern. Beatrice wurde gesagt, sie solle sich nicht über Gebühr beunruhigen.
Beatrices Gesicht war bleich. „Hast du Frederick gesehen? Er war mir sehr böse. Ich habe ihn gesucht, kann ihn jedoch nirgendwo finden.“
„Maria hat mir erzählt, er habe zeitig das Haus verlassen.“ Rosalyn fragte sich, warum Beatrice so aufgeregt war. „Hast du dich mit ihm gestritten?“
„Er hat die Sprache auf Onkel Bernard gebracht“, antwortete Beatrice stockend. „Ihn stört die Art, wie Onkel Bernard mich ansieht. Daher habe ich ihm alles erzählt, Rosalyn. Ich war so verlegen. Freddie war wütend und hat mich angeschrien. Er meinte, ich hätte ihm das alles sofort berichten müssen. Und dann hat er gesagt, er wolle Onkel Bernard nicht länger im Haus haben.“
„Was ist zwischen dir und deinem Onkel passiert?“
Stockend berichtete Beatrice, er sei im Haus ihrer Tante in ihr Schlafzimmer gekommen und habe versucht, sich zu ihr ins Bett zu legen.
„Oh, Beatrice! Das muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein. Wie hast du dich verhalten?“
„Ich habe nach meiner Zofe geschrien. Sie kam ins Zimmer und hat ihn mit meiner Haarbürste traktiert. Er ist fortgerannt, hat jedoch am nächsten Vormittag damit gedroht, Tante Patricia zu erzählen, ich hätte ihn zu verführen versucht. Er meinte, sie würde eher ihm und nicht mir glauben.“
„Ach, mein armes Kind!“, erwiderte Rosalyn. „So dumm oder so voreingenommen kann sie doch nicht sein! Du tust mir leid, weil du niemanden hattest, an den du dich Hilfe suchend wenden konntest. Kein Wunder, dass du es nicht mehr erträgst, in seiner Nähe zu sein.“
„Aus Scham wollte ich nicht darüber reden“, sagte Beatrice und schluchzte auf. „Ich hatte das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, konnte mir jedoch nicht denken, was das gewesen sein soll. Ich schwöre, ich habe Onkel Bernard nie Anlass gegeben zu denken, ich könne ein williges Opfer sein. Die Erinnerung an das scheußliche Erlebnis hat wie eine finstere Wolke über mir gehangen. Und jetzt ist Freddie mir böse.“
„Lass ihn in Ruhe über die Sache nachdenken“, empfahl Rosalyn. „Du hast nichts getan, dessen du dich schämen müsstest, Beatrice. Er ist nur deshalb wütend, weil er dich unwissentlich in Gefahr gebracht und nun Gewissensbisse hat. Ich bin sicher, dass er dich nicht für schuldig
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