Ein Mann von Welt
Freddy hatten sie aufgestellt. In einer Reihe, aus poliertem Granit: Ajax, Atlas, George Porter. Als ich die Markierungen für deinen Großvater und seine Jagdhunde sah, konnte ich meine Gefühle nicht mehr zurückhalten, deine Mutter legte ihre Arme um mich und lehnte ihren Kopf an meine Brust, an die Seite meiner Brust, an meine Rippen, das war noch viel besser, als meine eigene Luft zu atmen. Freddy hatte das Grab schon ausgehoben, er hatte schon ein Loch für die letzte Ruhestätte deines Großvaters gegraben, er hatte ein Loch gebaggert, genauso groß wie das Loch, das ich gemacht hatte, als ich deinen Großvater zum ersten Mal begraben hatte, niemand hatte ihm etwas von der Einäscherung gesagt, niemand hatte ihm gesagt, dass wir keinen Sarg begraben würden, sondern nur eine kleine Schachtel mit Asche.
Du warst da, Freddy war da, außerdem Wilfredo, deine Mutter und ich, Mary, die Polizistin, und ein paar andere. Als alle bereit waren, wollte ich die Schachtel ins Grab deines Großvaters legen. Aber das Loch war zu tief, ich kam mit meinen Armen nicht bis ganz nach unten, und werfen wollte ich sie nicht. Ich stellte die Schachtel auf die Erde und kletterte in das Loch. Jemand japste, aber niemand versuchte, mich aufzuhalten. Ich nahm die Schachtel und stellte sie vor meine Füße, und als ich mich dazu hinhockte, lagen meine Augen erst auf einer Höhe mit dem Erdboden und dann noch tiefer im Schatten. Dichte Erde, fast schwarz und voller Wurzeln. Ein Regenwurm, der seinem Tagwerk nachging. Das hätte deinem Großvater gefallen. Und dann stand ich auf und kam zurück ins Licht, meine Augen wieder über dem Erdboden, und ich schaute die Schuhe von allen an. Ich zog mich hoch, nahm die Schaufel in die Hand, dieselbe Schaufel, die ich benutzt hatte, um deinen Großvater das erste Mal zu begraben, und ich schaufelte Erde in das Loch, auf die Schachtel. Wir wechselten uns dabei ab, Erde in das Grab deines Großvaters zu schaufeln, es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwie fand ich es nicht angemessen, Freddys Minibagger zu benutzen. Als wir fertig waren, standen wir vor der aufgeschaufelten Erde und schauten nach unten, niemand sprach. Es war still, es war vollkommen unspektakulär. So wollte ich es, es ging mir nicht um ein Feuerwerk oder so, sondern darum, dass jetzt endlich wieder alles zusammenpasste, keine unbeabsichtigten Folgen mehr, nur Frieden. In dem Augenblick flog ein halbes Dutzend Vögel aus einem Busch auf. Alle schauten herüber, ich kann es
nicht sicher sagen, aber ich glaube, wir dachten alle dasselbe, das war dein Großvater, das war George Porter, seine Seele war jetzt frei, nachdem sein letzter Wunsch endlich erfüllt war, jetzt, wo er endlich da begraben war, wo er begraben werden wollte. Alle wandten ihre Gesichter dem Himmel zu, um den Vögeln nachzuschauen, die aufstiegen und dann wegflogen, aber ich schaute weiter auf den Busch. Einen Moment später kam ein grauer Fuchs heraus und leckte sich die Schnauze, von seinem Kinn troff Eigelb.
BEGNADIGUNG
C: Die Ärzte machen ihre Visite.
O: Ich kann sie hören.
C: Dr. Singh wird nicht erfreut sein, wenn er hört, dass du die ganze Nacht wach warst.
O: Er wird fassungslos sein, dass ich immer noch lebe.
C: Immer noch ganz schön dramatisch!
O: Du wirst schon sehen, mi Amor, es ist ein Wunder, dass ich noch lebe, er wird das auch so sehen.
Es gibt noch mehr über den Unfall zu sagen, da ist noch mehr. Gerade vor dem Exitus, vor dem Tod, ich sollte es vielleicht wirklich Tod nennen. Jetzt auf der Schwelle zum Tod, erinnere ich mich an die Szene des Unfalls, eine Sekunde nach der andern, es ist, als würde jemand die Erinnerungen wie Dominosteine in die Hand nehmen und sie in meinem Kopf wieder aufstellen, ich muss dir jetzt davon erzählen, bevor ich weg bin.
Ich erinnere mich jetzt deutlicher an den Tag, ich radelte in die Stadt, ich radelte zum ersten Mal seit langem wieder auf meinem blauglitzernden Drei-Gang-Schwinn nach Madera, es machte mir Spaß, wieder auf meinem Fahrrad zu sitzen. Weißt du, Juan-George, deine Mutter und ich waren immer zusammen in die Stadt gefahren, wir hatten alles zusammen gemacht, wir mussten die verlorene Zeit ja wieder aufholen, wie man so sagt, und deshalb hatte ich einen Großteil der
vergangenen Monate auf dem Beifahrersitz ihres Hyundai verbracht und nicht auf einem Fahrradsattel. Ich hatte mit ihr über die Möglichkeit eines Tandems gesprochen und ob wir mit Wilfredo sprechen sollten, wie wir eins
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