Ein Mann will nach oben
und ging los. Er hätte, wie Kalli Flau, die Hände in die Taschen der Hose gebohrt und bummelte auf die Männer zu. »Hört mal einen Augenblick, ihr!« sagte er.
25. Karl Siebrecht macht ein Angebot
Dies war nicht gerade der richtige Anfang. Kiesow sagte sofort streitlustig: »Kiekt euch mal den an! Hast du hier auch was zu reden, du?«
Und der leicht erregbare Kupinski rief: »Bei dir piept’s wohl, ja?«
Sie machten Anstalten, ihm den Rücken zu drehen. Er hatte jetzt die Hände aus den Taschen genommen. Falsch hatte er angefangen, er wollte nicht falsch fortfahren. Er suchte mit den Augen den Meckerer, den streitsüchtigen Kiesow, sah ihn fest an, ließ ihn nicht wieder aus den Augen und sagte: »Ich zähle hier auf dem Platz fünf Gepäckdroschken und acht Dienstmänner: In sechs Minuten läuft der D-Zug Gjedser–Warnemünde ein –«
»Was der Junge nicht alles merkt! Kluges Köpfchen!« höhnte Kiesow.
Karl Siebrecht fuhr unbeirrt fort: »– und ein Haufen Fremder kommt mit. Ein Teil bleibt in Berlin, ein Teil, die knappe Hälfte, fährt sofort weiter: In zwei Minuten sind die Gepäckdroschken fort, in fünf Minuten gibt es keinen freien Dienstmann. Aber damit sind noch lange nicht alle Fremden befriedigt, die stehen herum und schimpfen.«
»Laß sie schimpfen, die werden ja warten gelernt haben!«
»Aber unterdes kommen die Haifische«, Karl Siebrechtgrinste, »solche Haifische, wie der Kalli Flau und ich, und wir fischen euch die fetten Brocken weg.«
»Und dafür gehört euch der Arsch versohlt, mein Junge!« rief der hitzige Kupinski. »Warte mal, wir erwischen euch noch im Dustern!«
»Sicher«, gab Karl Siebrecht zu. »Aber ihr könnt nicht alle Haifische versohlen, es sind zu viele. Schlauer wär’s schon, ihr würdet alle Fremden abfertigen, dann schwämmen die Haifische von selbst ab!«
»Ach, du willst, daß mehr Dienstmänner da sind?« fragte Kiesow spöttisch. Endlich glaubte er zu ahnen, worauf Karl Siebrecht hinauswollte. »Du möchtest selbst Dienstmann werden? So siehst du aus!«
»Kann ich ja gar nicht, Kiesow!« sagte Siebrecht. »Bin noch zu jung. Weiter, hört nur weiter zu! Da stehen also eure Fremden und schimpfen. Nun aber die, die ihr geschnappt habt, die ihre Anschlüsse erreichen wollen. Nach dem Lehrter und nach dem Bahnhof Friedrichstraße, das geht, das läßt sich schaffen. Aber wie ist es mit dem Potsdamer und mit dem Anhalter Bahnhof? Gerade mit dem Anhalter ist es Scheibe! Um den Münchener Schnellzug zu erreichen, habt ihr siebenunddreißig Minuten. In diesen siebenunddreißig Minuten müßt ihr hier das Gepäck aufladen, hinkarren und auf dem Anhalter abfertigen lassen. Dreimal klappt es, und beim vierten Mal ist’s Essig! Dann gibt es einen Riesenkrakeel, Beschwerden, Geschimpfe. Und wenn ihr’s auch schafft, wie kommt ihr an? Abgerackert, geschunden, die Zunge aus dem Halse! Das ist doch kein Geschäft!«
»Recht hat er«, sagte einer. »Ich mag schon gar kein Gepäck mehr nach dem Anhalter annehmen.«
»Das wissen wir alle längst«, meinte Kiesow. »Das ist schon immer so gewesen. Wozu trittst du den ganzen Quatsch wieder breit?«
»Das will ich euch sagen!« Karl Siebrecht hatte auf die Uhr gesehen. Es waren noch knapp drei Minuten bis zum Schwedenzug, jetzt war der rechte Augenblick, ihnen seinen Vorschlagzu machen. Jetzt oder nie. »Du hast ganz recht gesagt, Kiesow: ich habe Quatsch breitgetreten. Denn es ist Quatsch, was ihr macht, saudämlicher Quatsch!« Nun war sein Hochmut doch wieder mit ihm durchgegangen. Aber das half nun alles nichts mehr; er konnte sich nicht mehr bremsen, nur weiter so! »Es ist Quatsch, daß ihr nur einen Teil der Fremden abfertigt, wo ihr von allen Geld ziehen könnt! Es ist Quatsch, daß ihr euch abschindet, erreicht den Anschluß doch nicht und kriegt für eure Schinderei einen auf den Deckel! Es ist Quatsch, daß ihr sagt, so ist es immer gewesen, und also bleibt es auch so! Hornochsen seid ihr allesamt, weiter gar nichts –!«
»Nun kriegst du aber gleich was in die Fresse, du freches Aas, du!« schrie Kupinski und trat bedrohlich nahe an den Jungen.
»Halt mal, Kupinski!« rief Kiesow und faßte den Zornigen am Arm. »Verdreschen können wir ihn immer noch, und das werden wir auch tun. Erst soll er uns erzählen, was er vorhat. Denn er hat was vor, sonst hätte er uns doch nicht all den Kohl vorgebetet. Also, was ist, was willst du tun?«
»Das will ich euch sagen«, antwortete der Junge und funkelte ihn
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