Ein Mensch namens Jesus
Ungeheuers alles ausbrütet? Er empfand Gewissensbisse. Er beschuldigte Pheroras, ihn durch Verleumdung zu dieser gräßlichen Tat getrieben zu haben. Er beweinte die Söhne, die er selbst hatte erdrosseln lassen! Kannst du dir das vorstellen? Er verlangte von Pheroras, daß er seine Frau verstoße, und ließ all diejenigen festnehmen und verhören, die mit ihr zu tun gehabt hatten. Er ließ die Leute foltern, um die Wahrheit zu erfahren, Namen und Pläne... Und ich war einer von denen, die mit Pheroras’ Frau in Verbindung gestanden hatten. Herodes kannte meinen Namen. Ich sollte festgenommen werden... Gerade noch rechtzeitig wurde ich gewarnt. Ich wußte nicht, wohin. Ich wußte nur, daß ich Palästina verlassen mußte und daß in Alexandria Juden lebten...«
Eleasar nickte zerstreut. Schon wieder ein Tontopf, der gegen einen Eisentopf ankämpfen zu können glaubt, dachte er bei sich. Josef hatte gut daran getan, zu fliehen; doch besser noch wäre es gewesen, sich gar nicht erst an solchen Intrigen zu beteiligen, die zu nichts führen konnten, weder für ihn noch für sein Volk.
»Hast du wirklich geglaubt«, fragte er deshalb, »die Dynastie des Herodes könne gestürzt werden?«
»Aber natürlich«, entgegnete Josef, »indem man die einen gegen die anderen hetzt.«
»Aber da sind doch noch die Römer«, gab Eleasar zu bedenken. »Sie hätten euch niemals einen König nach euren Vorstellungen wählen lassen. Ein echter Jude als König, ein Jude davidischer Abstammung, würde sich nur mit der völligen Unabhängigkeit zufriedengeben, und das hieße: Krieg gegen die Römer.«
»Sollen wir etwa die Schande der Versklavung in Kauf nehmen, ohne uns dagegen aufzulehnen?« fragte Josef mit wildem Blick. »Du lebst schon zu lange weitab von Palästina. Du weißt nicht, was dort vor sich geht. Die römischen Adler über dem großen Tor des Tempels — ist dir eigentlich klar, was das bedeutet?«
»Doch, das ist mir klar«, beeilte sich Eleasar zu sagen. »Aber wen hättet ihr auf den Thron setzen wollen, du und deine Partei? Wie ich schon sagte, ihr braucht einen König aus dem Stamme Davids. Wer soll das sein? Wo ist er?«
»Der Herr wird ihn für uns finden«, antwortete Josef sichtlich wütend.
»Aber wie wollt ihr wissen, daß gerade Gott ihn euch gesandt hat und nicht der Teufel? Du weißt ebensogut wie ich, daß sich Davids Nachkommenschaft seit Jahrhunderten verloren hat.«
»Der Herr wird ihn für uns finden, habe ich gesagt. Du mußt nur Vertrauen in Ihn haben. Fürchtest du nicht, daß du schon zu lange in einem heidnischen Land lebst?« fragte Josef und sah den Priester forschend an.
»Der Glaube an den Herrn hängt nicht davon ab, wo man lebt«, erwiderte Eleasar unwirsch. »Du kennst doch die Essener, nehme ich an.«
»Ja, ich kenne sie. Sie waren doch ursprünglich Pharisäer.«
»Nun gut, sie haben unweit der Stadt am Rande der Wüste am See Mareotis eine Siedlung gegründet. Gelegentlich sehe ich welche von ihnen, wenn sie nach Alexandria einkaufen kommen. Ich rede hie und da mit ihnen. Auch sie warten auf unseren Befreier. Allerdings scheinen sie nicht sicher zu sein, ob dieser Messias nun der Messias Aarons, also ein geistlicher König sein wird, oder aber der Messias Israels, das heißt ein weltlicher König.«
Die Flamme der Lampe flackerte im Nachtwind. Nach einer kurzen indigoblauen Phase war die Nacht tiefschwarz geworden. Eleasar erhob sich, um das Fenster zu schließen. Die Fensterläden knarrten in ihren Angeln, dann war wieder alles ruhig. Josef war verwirrt und verärgert. Dieser Priester hier sprach wie die griechischen Philosophen, um deren Gesellschaft sich die Sadduzäer so rissen, nicht aber wie ein echter jüdischer Priester. Josef hatte bisher mit ihm weder über den Preis der Perle noch darüber gesprochen, wo er sie verkaufen könne. Er verschob dies auf den nächsten Tag. Er hatte jetzt Ruhe nötig und verabschiedete sich.
»Findest du auch den Weg zurück?« fragte Eleasar. »Am besten begleitet dich wohl mein ältester Sohn Abraham. Komm morgen wieder! Dann regeln wir die finanziellen Angelegenheiten. Der Herr segne deinen Schlaf!«
Nur wenige LAtemen beleuchteten das Deltaviertel. Doch als sie die schmale Straße, in der die Synagoge lag, verließen, und in die Straße der Kanopen einbogen, die das Deltaviertel abgrenzte, erhellte dem alten Mann und seinem Führer eine stolze Reihe von Fackeln den Weg. Viele Geschäfte auf der anderen Straßenseite hatten noch
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