Ein Mörder unter uns
zu zwingen, Sie eigenhändig aus diesem Wagen zu schmeißen ?« zischte sie.
»Ich habe nachgedacht«, sagte
ich, »und Sie haben recht, es ist etwas, das ich nicht sehr oft tue. Noch vor
kurzem habe ich mit jemand anderem über Sie gesprochen und dabei Ihre
Haupteigenschaften beschrieben und...«
»Sie haben ein verteufeltes
System für einen Mann, der sich soeben aufs höflichste geweigert hat, mit mir
ins Bett zu gehen«, sagte sie erregt.
»-und«, fuhr ich kalt fort,
»unter einer Reihe vom Standpunkt einer Frau aus vielleicht begehrenswerteren
Eigenschaften auch behauptet, Sie hätten Würde. Mein Gegenüber sagte, ich sei
verrückt: Eine berechnende, in Diamanten gefaßte Nerzhyäne, die mit einem Mann wie Irving Hoyt unter
einem Dach lebe — die sollte Würde haben ?«
»Warten Sie immer, bis die
Leute müde sind, bevor Sie sie beleidigen ?« fragte sie
in bitterem Ton.
»Ich dachte, dieser Einwand
wäre richtig«, fuhr ich unerbittlich wie der Mississippi fort. »Aber vorhin
haben Sie mir von der persönlichen Demütigung erzählt, die Sie erlitten haben,
als Kirch Sie zwang, sich auszuziehen und vor ihm stehenzubleiben — Sie haben
mir das Angebot gemacht, zu Ihnen zu kommen — und nicht einmal dabei, Sonia
Scott, haben Sie an Würde verloren.«
»Ich erhalte also ein gutes
Führungszeugnis ?« sagte sie mit schwacher Stimme.
»Sie erhalten eine
Entschuldigung«, sagte ich. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht gleich
geglaubt habe, als Sie mir erzählten, Sie seien Irvings Privatsekretärin und
nichts anderes .«
Sie starrte mich ein paar
Sekunden lang verblüfft und erstaunt an. »Was hat Sie plötzlich bewogen, Ihre
Ansicht zu ändern ?«
»Erstens einmal die Würde«,
sagte ich wahrheitsgemäß. »Und außerdem bin ich plötzlich über eine ganze Reihe
Dinge bedrückt .«
»Über was zum Beispiel ?« fragte sie eifrig.
»Zum Beispiel darüber, daß
jedermann in dieser Angelegenheit soviel besser
informiert ist als ich«, brummte ich. »Und darüber, daß sich einige Leute
abwechselnd typisch und untypisch verhalten, ohne daß ich es bemerkt hätte.
Aber das Schlimmste ist, ich habe wirklich kluge Voraussagungen über das, was
sich ereignen wird, gemacht. Was behauptet man von einem Propheten in seinem
eigenen Land ?«
»Er gilt nichts«, sagte sie
automatisch.
»Und genau das wird der Fall
sein, wenn wir nicht schnell etwas unternehmen«, knurrte ich. »Sagen Sie mir
eines, Sonia, und ich schwöre Ihnen, es hat nichts mit dem Nerz und den
Diamanten zu tun! Was bedeutet Ihnen Irving Hoyt ?«
Sie betrachtete mich ein paar
Sekunden lang eindringlich und entspannte sich dann. »Er ist mein Onkel .« Sie grinste mich an. »Der Nerz und die — nicht allzuvielen — Diamanten stammen aus dem Einkommen, das ich
aus dem Vermögen meines Vaters habe. Was Irving anbelangt, so bin ich strikte
seine bezahlte Sekretärin, aber er ist der einzige Mensch, der von meiner
Familie übrig ist, und ich möchte ihn nun erhalten .«
»Lassen Sie mir fünf Minuten
Zeit, um ein paar Dinge aus meinem Zimmer zu holen«, sagte ich. »Dann fahren
wir in das Haus Ihres Onkels zurück .«
Sonia zuckte hilflos die
Schultern. »Ich weiß nicht, was Sie bewogen hat, Ihre Ansicht zu ändern, Rick,
aber ich bin froh darüber .«
Der Hotelangestellte am Empfang
döste selig vor sich hin, als ich in die Halle trat, und so griff ich nach
meinem Schlüssel, ohne ihn weiter zu stören. Ich blieb ausreichend lange im
Zimmer, um den Schulterholster mit meiner Achtunddreißiger unter meiner Jacke zu befestigen. Dann holte ich Lionels Pistole aus der Kommodenschublade
und schob sie in meine Hosentasche. Als ich in die Halle hinunterkam, war der
Angestellte inzwischen wach geworden und riß erstaunt die Augen auf, als ich
den Schlüssel auf das Empfangspult fallen ließ. Er warf einen Blick auf die
Wanduhr hinter sich, stellte fest, daß es beinahe halb drei Uhr war, und sah
mich von der Seite her an.
»Gehen Sie so früh aus, Mr. Holman ?« brachte er mühsam heraus.
»Ja«, sagte ich vergnügt. »Ein
herrlicher Morgen !«
»Es ist doch mitten in der
Nacht !« sagte er mürrisch.
Ich ging zum Eingang, blickte
dann zurück und sah, daß er mir noch immer mit zweifelndem Ausdruck im Gesicht
nachstarrte.
NEUNTES KAPITEL
W issen Sie was?« sagte Sonie beglückt, während sie sorglos den Wagen durch eine
plötzliche Neigung in der gewundenen Straße lenkte, auf der das Wasser bereits
einen halben Meter hoch
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