Ein mörderischer Schatten (German Edition)
da auch keine Netz hatte… Sie näherte sich dem nun verlassenen Empfangsgebäude, versuchte, die Dunkelheit und die Einsamkeit zu ignorieren und wählte. „Halleluja. Hallo Mama“, stieß sie aus, als ihre Mutter nach dem ersten Klingeln ranging.
„Meine Güte, Toni, warum hast du dich nicht eher gemeldet? Wir haben uns schon Sorgen gemacht“, ertönte die vorwurfsvolle Stimme ihrer Mutter durch das Telefon.
„Wir sind erst spät angekommen und hier hat man keinen Handyempfang, Mama.“
„Wie war denn die Fahrt? Und wie ist es da auf dem Campingplatz?“
Toni hatte keine Lust, den ganzen Tag noch einmal durchzukauen. Sie war todmüde. „Das erzähl ich dir alles morgen. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass wir gut angekommen sind. Ich bin hundemüde, Mama.“
„Ja, das glaub ich. Es ist ja auch schon halb elf.“
Toni verabschiedete sich und lief zum dritten Mal den Berg hoch. Im Wohnwagen fiel sie in ihr Bett und zum ersten Mal seit Ewigkeiten schlief sie bis zum nächsten Morgen durch.
Toni trat leise mit ihrer Kaffeetasse in der Hand aus dem Vorzelt in den angenehm kühlen Morgen. Sie atmete tief die frische Luft ein und genoss die friedliche Aussicht. Es war halb sieben in der Früh und der Campingplatz lag ruhig und friedlich da. Toni trank einen Schluck Kaffee und erschrak, als irgendetwas auf ihre Schulter fiel. Sie verrenkte sich den Hals, konnte aber nichts sehen. Auf dem Boden lag auch nichts. Plötzlich merkte sie, wie etwas an ihrem nackten Arm herumkrabbelte. Sie drehte erschrocken den Arm. „IIIhhhhh“, schrie sie angeekelt, als sie ein riesiges Insekt erblickte. Sie verbrühte sich an dem heißen Kaffee, der aus ihrer Tasse geschwappt war, ehe sie diese fallengelassen hatte und wischte sich hysterisch mit ihrer Hand über ihren Arm. „IIIIhhhh“, schrie sie noch einmal und flüchtete ein paar Schritte vor dem hinabgefallenen Tier. „Oh, Gott, wie ekelig“, rief sie und schauderte, während es ihr kalt den Rücken runterlief. Dann näherte sie sich vorsichtig dem Objekt ihrer Abscheu. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah. Abwesend rieb sie ihre nasse, schmerzende Hand an ihrem nackten Oberschenkel trocken und betrachtete das Monstrum genauer. Wenn sie jetzt am Amazonas oder so wären, würde sie es für einen Grashüpfer halten. Dort gab es doch riesige Insekten, oder? Ein Grund, warum Toni auch niemals in tropische Länder reisen würde. Vogelspinnen, riesige Kakerlaken und so etwas. Aber das hier war beinahe genauso schlimm. Allein der Körper des Grashüpfers war größer als ihr Mittelfinger. Das ganze widerwärtige Ungetüm war so groß wie ihre Hand. Als Toni eben dem Borkenkäfer ausgewichen war, der größer war, als ihr Daumennagel, da hatte sie sich noch nichts dabei gedacht. Auch die merkwürdigen Geräusche, die sie gehört hatte, als sie wach geworden war, hatte sie für irgendwelche Vögel gehalten, die es am Niederrhein nicht gab. Aber nun, da wurde es verdächtig. Unmöglich konnte es derart große Insekten in Deutschland geben. Wie mochten bloß die Spinnen aussehen? Und die Mücken? Toni sah auf ihre Schenkel und Arme, die von diversen Mückenstichen gesprenkelt waren. Das waren mindestens acht. Und das nur von gestern Abend! Ein Stich war dick angeschwollen. Dann kam ihr ein Gedanke. Sie befanden sich hier in der ehemaligen DDR. Wer weiß, was hier früher für Versuche durchgeführt oder für Dinge freigesetzt worden waren? Oder im Boden verbuddelt worden waren. Und nun war das hier ein Nationalpark und die Wahrheit über diese Dinge würde nie ans Licht kommen, da die Natur unberührt blieb, während die vielen Bewohner des Waldes heimlich vor sich hin mutierten. Und Bewohner gab es reichlich. Sie erinnerte sich an ein Prospekt an der Rezeption, dass die Wiederansiedlung von Wölfen anpries. Die gab es hier dann also auch noch. Toni machte einen Bogen um den Grashüpfer und schloss den Reißverschluss des Vorzeltes, sobald sie innen war. Seufzend holte sie sich eine neue Tasse Kaffee.
Wenig später sah Toni sich in dem campingeigenen Supermarkt um, der nur wenig größer war als ein Kiosk. Sie ergriff die Flasche Insektenlotion, wegen der sie hergekommen war und warf sie in ihr Körbchen. Normalerweise war Toni kein Freund von Chemie und bisher hatte sie solcherlei Dinge nie für nötig gehalten. Doch nachdem die Zahl ihrer Stiche, -zwei davon garantiert nicht von Mücken, die Biester, die sie vorhin ausgesaugt hatten, hatte sie noch nie gesehen-,
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