Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
dreinblickender Bursche mit einer langen dünnen Nase, der mich an einen Windhund erinnerte.
Er sprang neben mir her und bombardierte mich mit Fragen. »Ach, kommen Sie schon, Inspector Ross! Wissen Sie, die Presse kann Ihnen ein ganzes Stück weit helfen. Bedenken Sie nur, wie viele Leser wir erreichen! Jeder will mehr über das Phantom aus der Themse erfahren. Stimmt es, dass es sich um einen bekannten Irren handelt, der aus einer geschlossenen Anstalt geflohen ist? Sie müssen irgendetwas haben, das Sie mir erzählen können! Ich sorge persönlich dafür, dass meine Zeitung Ihren Namen nennt!«
Das wäre ein gefundenes Fressen für Superintendent Dunn, dachte ich mürrisch.
»Kommen Sie voran mit Ihren Ermittlungen? Stehen Sie davor, jemanden zu verhaften?«
»Ja – Sie. Weil Sie mich bei meiner Arbeit behindern!«, schnauzte ich ihn an.
Er stieß ein hohes Kichern aus, und seine Augen glänzten bei dem Gedanken, welch eine gute Story das wäre – sollte ich tatsächlich so töricht sein, ihn zu verhaften. Er wusste, dass ich es nicht wagen würde.
»Meine Güte, Sie sind aber kurz angebunden, Inspector. Kommen Sie schon, irgendwas haben Sie doch ganz bestimmt … irgendwas«, bekniete er mich.
Ich marschierte weiter und ignorierte ihn, bis mir bewusst wurde, dass eine andere Stimme in meinem Ohr redete. Ich blickte zur Seite und sah, dass ein weiteres Mitglied der vierten Macht im Staat den Platz des ersten eingenommen hatte. Dieser war von mittlerer Statur und stämmig, mit einem geröteten Hängebackengesicht – eher eine Bulldogge als ein Windhund.
»Perkins, Inspector, vom Daily Telegraph . Sie kennen mich, Sir. Wir sind eine seriöse Zeitung, Inspector, wie Sie sehr wohl wissen. Wir sind kein Boulevardblatt. Unter unseren Lesern finden sich wichtige Persönlichkeiten und ehrbare Bürger aller Schichten. Geben Sie mir irgendeine Information, die ich veröffentlichen kann. Stimmt es, dass das Phantom ein Ausländer ist? Gerüchte behaupten, er wäre ein russischer Anarchist. Wie wäre es mit einem Exklusivinterview?«
Ich entkam mit einem erleichterten Seufzer in die Hallen des Scotland Yard.
»Ich muss noch einmal nach Egham«, sagte ich zu Dunn. »Ich muss mich noch einmal mit Miss Marchwood unterhalten. Sie muss mir die Wahrheit sagen. Was sie im Moment nicht tut, da bin ich absolut sicher.«
»Und Morris mitnehmen?«, entgegnete er. »Vergessen Sie nicht, dass es eine Obergrenze gibt für Ihre Auslagen … und Morris’ Spesensatz ist noch geringer.«
»Morris ist immer noch mit der Suche nach dem Butler beschäftigt, und ich brauche ihn diesmal nicht«, versicherte ich dem Superintendent. »Ich tue mein Bestes, um meinen Spesensatz nicht zu überschreiten.«
Es gelang mir, unbemerkt an den Reportern vorbei aus dem Gebäude zu schlüpfen und den Bahnhof in Waterloo zu erreichen. Ich fuhr bis nach Egham und marschierte zu Fuß den Berg hinauf zum Herrenhaus der Benedicts. Dunn hätte meine Tour auf Schusters Rappen sicherlich begrüßt. Tatsache war, dass der Einspänner, den Morris und ich beim letzten Mal benutzt hatten, bereits einen anderen Fahrgast gefunden hatte. Er rollte jedenfalls gerade um die Ecke, als ich aus dem Bahnhofsgebäude auf den Vorplatz trat. Ich fragte mich müßig, ob es der gleiche Einspänner war, den Angelis genommen hatte, als er zu Benedict gefahren war, um seinem Chef über das Verschwinden von Allegra zu berichten. Ich hätte den Kutscher Billy Cooper danach fragen können. Er hätte sich bestimmt an einen Mann wie Angelis erinnert und daran, dass er eine ganze Weile vor dem Haus gewartet hatte, um den Besucher anschließend wieder zum Bahnhof zu bringen. Sicherlich war er auch neugierig gewesen, was für eine wichtige Nachricht das sein konnte, die einen Mann von London nach Egham und am gleichen Abend wieder zurück nach London führte, zu später Stunde und bei denkbar schlechtem Wetter. (Abgesehen davon hätte die Befragung des Kutschers mir ermöglicht, auch die Fahrt in meine Spesenabrechnung aufzunehmen.)
Wie dem auch sei, am Tag meines zweiten Besuchs herrschte zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder mildes Wetter. Es war überraschend warm, wie es hin und wieder um diese Jahreszeit der Fall ist. Die Bäume waren längst kahl, doch die Landschaft war noch nicht winterlich. Ich war halb den Berg hinauf, als mir ein Fußgänger entgegenkam. Er trug einen dunklen Gehrock und einen schwarzen Zylinder, der von einem schwarzen Seidenschal gehalten
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