Ein Mord wird angekündigt
stellende Krankheit gehabt. Aus all diesen Briefen sprach Letitias liebevolle Sorge um ihre schwer kranke Schwe s ter. Anscheinend hatte sie ständig über ihr Leben und Treiben ausführliche Berichte geschrieben, von denen sie glaubte, sie könnten das kranke Mädchen interessieren. Und Charlotte hatte diese Briefe aufbewahrt; einigen w a ren auch Schnappschüsse beigefügt.
Craddock war ganz aufgeregt. Hier könnte er auf einen Hinweis stoßen; in diesen Briefen könnten Tatsachen erwähnt sein, die Letitia Blacklock längst vergessen hatte. Hier könnte er ein treues Abbild der Vergangenheit fi n den, es könnte ihm helfen, die – oder den – Unbekannten zu identifizieren.
Sorgfältig packte er die Briefe zusammen und ging hi n unter.
Auf dem Flur im ersten Stock begegnete ihm Letitia, die ihn erstaunt fragte:
»Ach … Sie waren auf dem Speicher? Ich hörte Schritte und konnte mir gar nicht vorstellen, wer … «
»Miss Blacklock, ich habe einige Briefe gefunden, die Sie vor vielen Jahren Ihrer Schwester Charlotte geschri e ben haben. Gestatten Sie mir, dass ich sie mitnehme und lese?«
Sie wurde rot vor Ärger.
»Ist das denn nötig?«, entgegnete sie scharf. »Warum? Was für ein Interesse haben Sie an den Briefen?«
»Es könnte darin einiges über Sonja Goedler stehen, es mögen Hinweise darin sein, die mir meine Nachfo r schungen erleichtern.«
»Es sind Privatbriefe, Herr Inspektor!«
»Ich weiß.«
»Ich nehme an, dass Sie diese Briefe auf jeden Fall mi t nehmen werden. Sie haben die Vollmacht, es zu tun, oder werden diese Vollmacht leicht erhalten. Nehmen Sie sie in Gottes Namen! Aber Sie werden darin sehr wenig über Sonja finden. Sie heiratete und ging fort, ein, zwei Jahre, nachdem ich zu Goedler kam.«
Hartnäckig erwiderte Craddock:
»Es könnte etwas darin stehen. Wir müssen alles vers u chen, ich versichere Ihnen, die Gefahr ist wirklich groß!«
Sie biss sich auf die Lippen und meinte:
»Ich weiß, Bunny ist tot. Und zwar wurde sie mit einer Aspirintablette vergiftet, die für mich bestimmt war. Das nächste Mal kann es statt meiner Patrick oder Julia und Phillipa oder Mizzi treffen, junge Menschen, die meine t wegen ihr Leben verlieren würden. Jemand trinkt ein Glas Wein, das für mich eingeschenkt wurde, oder isst ein Stück Schokolade, das mir zugedacht war. Also nehmen Sie die Briefe. Aber verbrennen Sie sie nachher. Es ist alles vorbei, vergangen, versunken. Niemand erinnert sich jetzt … «
Sie fasste an ihr Halsband aus falschen Perlen. Und wieder dachte Craddock, wie wenig dieser unechte Schmuck zu dem schlichten Jackenkleid passte.
Am nächsten Tag, es war trüb und stürmisch, ging der Inspektor ins Pfarrhaus.
Miss Marple saß dicht am Kamin und strickte, während Bunch auf allen vieren auf dem Boden umherkroch und ein Schnittmuster anfertigte.
»Es ist zwar ein Vertrauensbruch«, sagte Craddock zu Miss Marple, »aber ich bitte Sie trotzdem, diesen Brief zu lesen.«
Er erzählte, wie er die Briefe auf dem Speicher entdeckt hatte.
»Sie sind wirklich rührend, diese Briefe«, erklärte er. »Man sieht den alten Vater direkt vor sich, diesen Doktor Blacklock. Ein richtiger Tyrann.«
Miss Marple nahm den Brief, entfaltete ihn und begann zu lesen:
Liebste Charlotte!
Ich habe dir zwei Tage lang nicht geschrieben, weil hier ein fürc h terlicher Familienstreit im Gange ist. Du erinnerst dich doch noch an Randalls Schwester Sonja. Sie hat dich einmal mit dem Auto abgeholt und mit dir einen Ausflug gemacht. Ich wünschte so sehr, dass du das des Öfteren tun könntest. Also Sonja hat Randall erklärt, sie wolle einen gewissen Dimitri Stamfordis heiraten. Ich habe den Mann erst einmal gesehen. Er sieht sehr gut aus, man kann ihm aber meines Erachtens nicht über den Weg trauen. Randall ist außer sich vor Wut und sagt, er wäre ein Gauner und B e trüger. Belle, lieb wie sie ist, liegt auf dem Sofa und lächelt nur. Und Sonja, die scheinbar ruhig ist, hat eine fürchterliche Wut auf Randall.
Ich habe alles Mögliche versucht. Ich habe mit Sonja gesprochen und mit Randall und habe sie etwas zur Vernunft gebracht, aber sowie die beiden wieder miteinander sprechen, beginnt der Streit von Neuem.
Inzwischen vernachlässigt er das Geschäft. Ich bin jetzt meist a l lein im Büro, was mir Freude macht, denn Randall lässt mir freie Hand. Gestern sagte er mir: »Gott sei Dank, dass es wenigstens noch einen vernünftigen Menschen auf der Welt gibt. Sie werden sich
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