Ein Ort zum sterben
Theater verließen. Fiffi war offensichtlich noch immer sauer. Nach einer Viertelstunde erschien Gaynor in Jeans, offenem Sporthemd und Sakko und ging in Richtung Campus davon.
Sein Gang war jetzt wieder unsicher und tolpatschig, die Ellbogen zeigten nach außen, die Füße stolperten über den erstbesten Stein. Jonathan Gaynor hatte zu seinem eigentlichen Ich zurückgefunden.
Danach gab es keine besonderen Vorkommnisse mehr. Er blieb bis in den Abend hinein auf dem Campus, aber Mallory interessierte nur das, was er tagsüber trieb. Tagsüber, wenn der Mörder zuschlug.
In der U-Bahn geriet sie wieder in die Rush-hour. Sie stand dicht an der Wand, so daß sie nicht an ihre Büchertasche kam und sich damit behelfen mußte, über die Köpfe der Mitreisenden hinweg die Anzeigen zu lesen. »Für immer frei von Warzen und Hühneraugen«, stand auf einem der Plakate. Ein anderes war eine Werbung für die Recht-auf-Leben-Bewegung. Wer eine unverheiratete werdende Mutter kannte, konnte dort anrufen und sie verpfeifen.
Ein Fahrgast sah Mallory wütend an und machte den Mund auf, um sich nachdrücklich zu beschweren, weil ihr Fuß auf seinen Zehen stand. Als er ihre Augen sah, machte er den Mund wieder zu und suchte sich ebenfalls Lesestoff an der Wagenwand.
Charles hatte ein paar dringende Fragen an Mallory, aber als sie mit vorgerecktem Kinn und finsterem Gesicht stumm an ihm vorbeiging, verkniff er sie sich. Sein Leben war ihm schließlich lieb. Erst nach geraumer Zeit folgte er ihr in das Hinterzimmer, das sie sich als Büro eingerichtet hatte und das auf beunruhigende Weise ihre Persönlichkeit widerspiegelte.
Die drei Computerterminals mit Drucker und der Rollwagen mit weiterem raffinierten elektronischen Spielzeug waren wie mit dem Lineal ausgerichtet. Auf dem Schwarzen Brett an der hinteren Wand vermißte Charles das anheimelnde Markowitz-Chaos, die Zettel waren an allen vier Ecken festgepinnt und hingen millimetergenau gerade. Kein Stäubchen lag auf den Geräten in den Regalen, Handbücher und Nachschlagewerk standen stramm wie die Soldaten auf dem Bord.
Er hatte ihr ein paar seiner schönen alten Stücke angeboten, aber sie hatte sich für ganz normale, streng sachliche Büromöbel entschieden: einen Metallschreibtisch, Bürostuhl, Drehsessel und einen großen Aktenschrank. Er wußte, ohne daß er eins der Fächer aufzumachen brauchte, daß in den Ordnern kein Blatt aus der Reihe tanzte. Es gab keine Familienfotos, an der Wand nur nüchterne Informationen, auf dem Schreibtisch nichts an persönlichen Gegenständen. Ein Zimmer, das besessene Ordnungsliebe, seelenlos präzises Denken und Handeln verriet – und das doch irgendwie nicht zu jener Kathy paßte, die er kannte, einer jungen Frau, die sich im Eifer des Gefechts immer wieder vergaloppierte, deren Raubzüge auf fremde Computer etwas Lustvoll-Zerstörerisches hatten.
»Ich würde gern ein paar Kleinigkeiten mit dir besprechen, Kathleen.«
»Mallory«, verbesserte sie automatisch und stellte den ersten Computer an.
»Also gut: Mallory. Mein Steuerberater glaubt, ich hätte was gegen ihn, und ist ziemlich sauer.«
»Um so besser.« Sie rief eine Datei auf. »Dann wird er es sich zweimal überlegen, ehe er sich an deinen Konten vergreift.«
»Arthur? Der würde nicht mal eine Büroklammer einstecken, die ihm nicht gehört. Er ist eine grundehrliche Haut. Steuersachen sind sein Leben.« Charles stellte sich hinter ihren Sessel. Hörte sie überhaupt zu? »Andere Leute bronzieren Babyschuhe, er hat die erste Steuererklärung, in der sein Kind auftaucht, in Folie eingeschweißt und aufgehängt. Arthur ist sehr tüchtig, ich möchte ihn nicht verlieren.«
»Ich habe ihm keinen Vorwurf gemacht.«
»Nein, du wolltest nur eine Kopie seiner Diskette haben, um sie zu prüfen. Wie soll man so was wohl auffassen?«
Sie antwortete nicht, sondern studierte stirnrunzelnd die Daten für Wohnung 3B. »Hier ist jede Menge Miete fällig.«
Er schaute ihr über die Schulter. »Edith Candle zahlt keine Miete.«
Mallory sah auf. Der Blick war skeptisch und ein bißchen sexy.
»Komm, Mallory, seit wann hast du Tomaten auf den Augen? Edith ist die Vorbesitzerin des Hauses. Sie hat hier Wohnrecht auf Lebenszeit.«
Der Türsummer ging zum dritten Mal in einer Stunde. In den letzten Wochen war Charles Butler klar geworden, daß Mallory in einem recht gehabt hatte: Es war ein Fehler gewesen, den Mietern mitzuteilen, daß das Haus jetzt ihm gehörte. Obgleich er einen
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