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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Und mit einem so verdrucksten, verklemmten Gesicht konnte sie eigentlich nicht anders als unglücklich sein.
    Gute Leistung, Charles.
    »Sie lassen alle vierzehn Tage das Haar nachtönen«, fuhr er fort.
    Na klar, dachte Mallory, sonst hätte man zumindest einen Ansatz gesehen.
    »Und Sie hatten als Kind und Jugendliche Ballettunterricht.«
    Woher er das wohl hatte? War sie vielleicht auf Zehenspitzen ins Zimmer geschwebt?
    »Sie gehen lieber zu den Auktionen von Christie’s als zu denen von Sotheby’s.«
    Das durfte ja nicht wahr sein …
    Dann aber sah sie die vielen Ringe mit den schönen alten Fassungen an Mrs. Pickerings Fingern. Wahrscheinlich hatte Charles mit seinem fotografischen Gedächtnis Auktionskataloge abgerufen.
    »Sie haben einen Hund.«
    Konnte das Zeug, das an ihrem Kleid hing, nicht ebenso gut Katzenhaar sein? Moment … sein sagenhafter Geruchssinn. Draußen nieselte es, und Mrs. Pickering war vermutlich vor ihrem Besuch bei Charles mit dem Hund draußen gewesen. Katzen führt man nicht im Regen spazieren.
    »Sie hatten es beim Anziehen auffallend eilig.«
    Mallory hatte zunächst an dem modischen Outfit ihrer Besucherin nichts auszusetzen, aber dann sah sie, daß im Nacken das Schildchen mit der Waschanleitung hochstand und der Rougeklecks auf einer Wange nicht richtig verteilt war. Eine eitle Frau, die sich, ehe sie aus dem Haus geht, nicht gründlich vor dem Spiegel begutachtet? Wieder ein Treffer, Charles.
    »Ihr Leben bietet Ihnen zur Zeit keine Höhepunkte«, sagte Charles, »sondern fließt mit quälender Gleichförmigkeit dahin, und es sieht nicht so aus, als würde sich in absehbarer Zeit daran etwas ändern. Die Hinterhältigkeit Ihrer Mutter irritiert, ja ärgert Sie, der Gedanke an Ihr eigenes Leben aber erfüllt Sie mit Trauer und Entsetzen. Doch das alles ist im Grunde ziemlich primitiv. Ein gutes Medium könnte sich Zugang zu Ihren Gefühlen verschaffen, hätte das Flackern in Ihrem Blick registriert, als Sie betonten, Sie handelten nur im Interesse Ihrer Mutter, hätte die Tatsache, daß Sie nicht Besorgnis erkennen ließen, sondern Ärger, sehr viel geschickter ausgewertet als ich.«
    Weil du für so was viel zu anständig bist, dachte Mallory. Sie selbst hatte seine Anständigkeit immer schamlos ausgenutzt, denn nur so hatte sie gegen seinen genialen IQ überhaupt eine Chance. Aber künftig würde sie sich doch ein bißchen zurückhalten müssen. Sie hatte nie die Absicht gehabt, Charles zu gefährden, aber wenn sie ihre Bereitschaft signalisierte, diesen Fall zu übernehmen, von dem er offenbar so gar nichts hielt, konnte es durchaus gefährlich werden.
    Andererseits bot ihr diese Pickering einen Zugang zum Gramercy Square und dessen alteingesessenen Geldadel. Und auch an das faszinierende Zentnerweib mußte man denken …
    Mallory traf eine schnelle Entscheidung. »Wir übernehmen den Fall. Fünfzehnhundert Dollar Vorschuß. Zeitaufwand und Spesen werden später mit der Vorauszahlung verrechnet.«
    Mrs. Pickering saß nach wie vor aufrecht in ihrem Sessel. Trotzdem sah es so aus, als beanspruche sie nicht mehr so viel Platz im Zimmer. Müde nickend kramte sie ihr Scheckbuch heraus. Ihr Gehabe war also nur Schau gewesen. Sie war keineswegs die hochkarätige Furie, für die Mallory sie zuerst gehalten hatte.
    »Meine Mutter heißt Fabia Penworth«, sagte Mrs. Pickering, nachdem sie mit ihrem goldenen Füller eine schwächliche Unterschrift auf den Scheck gesetzt hatte, und holte ein Kärtchen heraus. »Das ist die Adresse.«
    Mallory nahm Scheck und Karte entgegen und besiegelte das Geschäft mit einem Handschlag, was jemand, der sie nicht näher kannte, fälschlicherweise für eine herzliche Geste halten konnte. »Danke, Mrs. Pickering.«
    Mrs. Pickering, inzwischen nur noch eine verunsicherte Frau reiferen Alters, lächelte fast schüchtern.
    »Sagen Sie doch Marion zu mir. Und Sie sind …«
    »Mallory.«
    Mrs. Pickering stand auf und ging langsam zur Tür. Jetzt begriff Mallory, wieso Charles auf Ballettunterricht getippt hatte. Mrs. Pickering ging leicht und graziös, mit nach außen gedrehten Zehen, einer eindeutig angelernten Haltung. Ein gesenkter Kopf und gebeugte Schultern hätten viel besser zu ihrer derzeitigen Stimmung gepaßt, aber die Körpersprache hatte ihr ein gestrenger Ballettmeister in jungen Jahren mit einem großen Stock ausgetrieben. Bei Mallory war ein ähnliches Experiment schmählich gescheitert.
    Charles drehte seinen Sessel zu Mallory herum

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