Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
geschickt das Gleichgewicht, während sie die Boote ebenso kraftvoll wie elegant mit ihren langen Stangen steuerten. Der heftiger werdende Wind trug die Gerüche von Salz und Regen heran. Die Schreie der Möwen dehnten sich zu einem langen, klagenden Kreischen.
Hester hatte das Gefühl, das Thema Zenia Gadney ausgeschöpft zu haben.
Hatte der Versuch, Erkenntnisse über Dr. Lambourns Jagd nach Informationen über Opium zu gewinnen, überhaupt noch einen Sinn? Wahrscheinlich nicht. Das Licht verblasste, und die Luft wurde mit dem einsetzenden Gezeitenwechsel kälter. Es war Zeit, nach Hause zurückzukehren. Dort war es warm, und sie konnte nicht nur den über das Wasser wehenden Wind hinter sich lassen, sondern auch die Eindrücke von Tod, Wut und Verzweiflung – und von Gier, die letztlich alles, was wirklich wertvoll war, zerstört hatte.
Sie würde Scuff noch eine seiner Lieblingsspeisen zum Abendbrot bereiten, seinem Lachen über irgendetwas Banales lauschen und ihm schöne Träume wünschen, sobald er sauber geschrubbt war, nach Seife roch und reif fürs Bett war.
Später würde sie neben Monk liegen und Gott für alles danken, was in ihrer Welt gut war.
Agatha Nisbet, Agony, aufzuspüren, das kostete Hester den ganzen nächsten und die Hälfte des darauf folgenden Tages. Erst musste sie einen schmalen Weg vorbei am Greenland Dock, dann landeinwärts zum Norway Yard laufen. Später unternahm sie einen neuerlichen Anlauf in der Rotherhithe Street. Aber fündig wurde sie erst, als sie sich durch mehrere Dutzend Werften gefragt hatte, bis sie schließlich vor einer nicht mehr benutzten großen Lagerhalle stand. Und die beherbergte eine behelfsmäßige Klinik für verletzte Hafenarbeiter und Seeleute.
Tapfer trat sie ein, hoch aufgerichtet, als gehörte sie dorthin. Zwei Personen beäugten sie misstrauisch, erst eine junge Frau, die schwungvoll die Böden schrubbte, dann ein Mann mit Blutflecken auf den Kleidern, dem Anschein nach ein Krankenpfleger. Sie lächelte ihn freundlich an, woraufhin er sich entspannte und darauf verzichtete, sie zur Rede zu stellen.
Im Weitergehen kam sie an drei Frauen mittleren Alters vorbei. Sie wirkten müde und abgekämpft, und ihre Kleider waren zerknittert, als hätten sie die ganze Nacht darin durchgearbeitet. Das brachte eindringliche Erinnerungen an ihren eigenen Dienst in allen möglichen Krankenhäusern zurück: putzen, Bandagen aufwickeln, Betten frisch beziehen, Kranken und Verletzten beim Essen helfen und vor allem Befehle entgegennehmen. Die Müdigkeit kam ihr wieder in den Sinn, die Kameradschaft, der geteilte Kummer und die Siege.
Auf dem Boden lagen Strohmatratzen, allesamt besetzt von Männern mit blassen Gesichtern, schmutzig, an Armen, Beinen oder sogar am ganzen Körper verbunden. Die glücklicheren unter ihnen schienen zu schlafen. Wenn Agatha Nisbet ihnen Opium verabreicht und die Verletzungen verbunden hatte, sah Hester keinen Grund zur Kritik. Wer etwas daran auszusetzen hatte, sollte einmal selbst ein, zwei Wochen lang hier auf diesem Boden mit gebrochenen Knochen und zerschundenem Körper in langen, bitteren Nachtstunden bei Kälte und Dunkelheit liegen, ohne dass ihm jemand Linderung verschaffte, wenn sogar das Einatmen schier unerträgliche Schmerzen bereitete.
Hester hatte das Ende des riesigen Raumes erreicht und wollte gerade an eine der Türen dort klopfen, als diese aufflog und sie sich plötzlich einer mannsgroßen Frau mit den breiten Schultern eines Kanalarbeiters gegenübersah. Sie hatte grau durchwirktes, braunes Kraushaar. Ihr markantes Gesicht mochte vor dreißig Jahren, in ihrer Jugend, hübsch gewesen sein. Jetzt aber hatten die Zeit und ein schweres Leben sie verhärtet, während Sonne, Wind und Wetter ihre Haut hatten rau werden lassen. Glühende blaue Augen bohrten sich verächtlich in Hester.
»Was woll’n Sie hier, Verehrteste?«, fragte sie mit leiser, leicht quäkender Stimme, die etwas zu hoch war und überhaupt nicht zu dieser wuchtigen Erscheinung passte. Das Wort »Verehrteste« zischte sie voller Geringschätzung.
Hester verkniff sich eine schneidende Bemerkung, die ihr schon auf der Zunge lag. »Miss Nisbet?«, fragte sie höflich.
»Ja, und? Wer sind Sie?«, kam es zurück.
Hester ließ sich nicht einschüchtern. Mit lauter Stimme antwortete sie: »Hester Monk. Ich leite eine Klinik auf der anderen Seite des Flusses. Portpool Lane.«
»Na, so was.« Agatha Nisbets Augen musterten sie kühl von oben bis unten. »Was
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