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Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)

Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)

Titel: Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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physisch in der Lage gewesen, eine solche Tat allein zu begehen? Hatte sie ihren Mann mitten in der Nacht auf den One Tree Hill gelockt? Ihn dazu überredet, das Opium einzunehmen und dann ruhig sitzen zu bleiben, während sie ihm die Pulsadern aufschnitt? Hatte sie in aller Ruhe die Flasche und das Messer an sich genommen, und war sie dann zurück nach Hause zu ihren Kindern spaziert? Warum sollte sie überhaupt die Flasche und das Messer fortschaffen? Das ergab doch keinen Sinn! Wenn er sich wirklich umgebracht hatte, hätte beides dort bleiben können. Die Tatsache, dass es aus seinem Haus stammte, verriet doch nichts Besonderes. Wozu es dann verstecken? Was sonst hätte Lambourn verwenden sollen?
    Und wenn Dinah fähig war, so kaltblütig zu planen, warum dann diese Raserei bei der Verstümmelung von Zenia Gadney? Was könnte sie dazu provoziert haben, nachdem sie jahrelang über diese Regelung Bescheid gewusst hatte? Warum plötzlich zwei Morde innerhalb von zwei Monaten?
    Irgendetwas stimmte nicht. Es musste eine andere Antwort geben.
    Den Rest des Tages verbrachte Hester damit, mit Bewohnern des Viertels zu sprechen und noch etwas mehr über Zenia Gadney zu erfahren, doch nichts davon konnte das Bild, das Gladys ihr vermittelt hatte, wesentlich verändern: eine stille, melancholische Frau, die sich ihre Jugend mit Alkohol kaputt gemacht, dann aber offenbar ihre inneren Dämonen bezwungen hatte. Die letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens hatte sie in der Copenhagen Place verbracht. Bisweilen hatte sie für andere Leute Kleider ausgebessert, aber wohl eher um der Freundschaft, nicht des Geldes willen. Auf diese Weise konnte man Kontakte pflegen und gelegentlich ins Gespräch kommen. Anscheinend hatte sie von Dr. Lambourn ausreichend Unterstützung erhalten, sodass sie bei genügender Sparsamkeit auf keine andere Einkommensquelle angewiesen war.
    Mehrere Leute erzählten, dass sie bei fast jedem Wetter auf die Straße hinausgegangen war. Meistens war sie die Narrow Street am Flussufer entlanggelaufen. Bisweilen blieb sie einfach stehen und schaute nach Süden, das Gesicht dem Wind zugewandt, um die über den Fluss gleitenden Lastkähne zu beobachten. Wenn man sie angesprochen hatte, hatte sie immer eine freundliche Antwort gegeben, aber von sich aus hatte sie selten das Gespräch gesucht.
    Niemand sprach schlecht von ihr.
    Hester ging weiter in die Narrow Street, postierte sich so, wie Zenia das so oft vor dem im Licht glitzernden grauen Wasser getan hatte, und ließ sich den Wind ins Gesicht wehen. Eindringlich konnte sie so Zenias Einsamkeit nachempfinden und spürte vielleicht auch etwas von dem Bedauern, das über sie hereingebrochen sein musste. Was hatte ihre Trunksucht ausgelöst? Eine Familientragödie? Der Tod eines Kindes vielleicht? Eine unglückliche Ehe? Sie würden es wohl nie mehr erfahren.
    In Zenias Leben hatte es anscheinend nichts gegeben, was zu ihrem schrecklichen Tod geführt haben konnte, außer vielleicht ihre Verbindung mit Joel Lambourn. Ansonsten war sie wahnsinniger Raserei zum Opfer gefallen, weil sie zufällig gerade greifbar gewesen war.
    Hester war voller Mitleid mit Dinah aufgebrochen, einer Frau, der nicht nur der geliebte Mann geraubt worden war, sondern auch in einem gewissen Sinne alles, worin sie das Glück in ihrem Leben gesehen haben mochte. Selbst ihre schönsten Erinnerungen waren jetzt für immer befleckt. Und bald würde sie in diesem schrecklichen Ritual des Hängens das eigene Leben verlieren.
    Doch jetzt, da Hester vor dem Fluss stand und beobachtete, wie sein graues Wasser an ihr vorbeiwirbelte, galt ihre Anteilnahme nur noch Zenia Gadney. Das Leben hatte für diese Frau so wenig Tröstliches bereitgehalten und ihr in ihren letzten eineinhalb Jahrzehnten so gut wie keine Wärme vergönnt, wie man sie erfährt, wenn man mit anderen lachen oder teilen kann, wenn man sich gegenseitig berührt. Stattdessen war Joel Lambourn einmal im Monat zu ihr gekommen und hatte sie entlohnt. Was konnte er gewollt haben, das so abwegig, so obszön war, dass seine Frau es ihm nicht hatte geben können und er es sich gegen Bezahlung bei einer traurigen Prostituierten geholt hatte?
    Sie war froh, dass sie es nicht wissen musste.
    Die Bugwelle eines Bootes klatschte laut auf die jetzt bei Ebbe freigelegten Kieselsteine am Ufer. In der Strömung in der Mitte des Flusses zog ein Verband von hoch mit Kohle, Holz und Stoffballen beladenen Lastkähnen vorüber. Die Männer an Bord hielten

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