Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
zeugte vom Kommandanten: die Haltung, das schmale, knochige Gesicht, die ausdrucksstarken Augen. Orme war gewöhnlich. Niemand konnte ihn für hinterhältig oder überschlau halten. Ihm würde man glauben. Und wer seine Aufrichtigkeit infrage stellte, würde sich selbst mehr schaden als ihm.
Coniston trat in die Mitte der Fläche vor dem Richterpult und blickte nach oben zu Orme, der bereits vereidigt worden war und sich mit Namen und Rang ausgewiesen hatte.
»Sergeant Orme«, begann Coniston höflich, als gehörten sie demselben Stand an. »Möchten Sie bitte dem Gericht von Ihrem Erlebnis am frühen Morgen des zweiten Dezembers erzählen, als Sie sich dem Limehouse Pier näherten? Schildern Sie doch denjenigen unter uns, die nicht dabei waren, die Szene.«
Auch wenn Orme auf diese Situation vorbereitet worden war, fühlte er sich dennoch unbehaglich. Das war an seinem Gesicht zu erkennen und an der Art und Weise, wie er sich leicht vorbeugte und sich mit beiden Händen ans Geländer klammerte. Rathbone wusste, dass das, worum Orme hier gebeten wurde, zwar Teil seines Alltagslebens war, er es aber nicht gewohnt war, dergleichen für andere in Worte zu fassen. Die Geschworenen würden einen Eindruck von der Bestürzung über das, was er gesehen hatte, erhalten. Coniston bereitete sie bereits auf das Entsetzliche an dem Verbrechen vor. Rathbone war beeindruckt. Sein Gegenspieler hätte sich auch weniger Mühe machen und davon ausgehen können, dass die Betroffenheit sich von selbst einstellen würde.
»Mr Monk und ich waren auf dem Rückweg von der Untersuchung eines Raubüberfalls weiter flussaufwärts«, begann Orme.
»Nur Sie zwei?«, fragte Coniston. »Saßen Sie am Ruder?«
»Randan« , antwortete Orme und benutzte den Fachausdruck für die Zweisitzer der Wasserpolizei, deren Insassen sich die Arbeit teilten. »Zwei Männer hintereinander; jeder an einem Ruder.«
»Ich verstehe. Danke. Wie spät war es? Wie waren die Lichtverhältnisse?«
»Sonnenaufgang, Sir. Viele Farben am Himmel und auch auf dem Wasser.« Orme war anzumerken, dass er sich unbehaglich fühlte.
»Hielten Sie sich in Ufernähe oder weiter draußen in der Strömung?«, wollte Coniston wissen.
»In Ufernähe, Sir. Da, wo die Strömung ist, kommt man dem Schiffsverkehr, Fähren und dergleichen in die Quere.«
»Im Schatten der Docks und Lagerhallen? Malen Sie doch bitte das Bild für uns, Sergeant Orme.«
Orme verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß. »Knapp zwanzig Meter weit draußen, Sir. Die Gebäude ragten über uns auf, aber in ihrem Schatten waren wir nicht. Das Wasser war in Ufernähe glatter. Da kam der Wind nicht mehr hin.«
»Ich verstehe. Sie beschreiben das sehr gut«, lobte ihn Coniston elegant. »Sie und Kommandant Monk ruderten also von einem Einsatz nach Wapping zurück, nachdem Sie in den frühen Morgenstunden hinausgerufen worden waren. Es war kühl. Die Brise wühlte den Fluss auf, nur in Ufernähe nicht, wo man beinahe schon im Schatten der Docks und Lagerhallen war. Die aufgehende Sonne goss rotes Licht über das glatte, ruhige Wasser um Sie herum?«
Ormes Züge verspannten sich, als stieße ihn das Interesse für Schönes angesichts der damaligen Umstände ab. »So was in der Richtung, Sir.«
»Geschah irgendetwas, das Sie veranlasste anzuhalten?«
Im Gerichtssaal herrschte absolute Stille, nur unterbrochen vom leisen Rascheln eines Rocks, als eine Dame die Haltung wechselte.
»Ja, Sir. Wir hörten eine Frau schreien. Auf dem Limehouse Pier. Sie kreischte und fuchtelte mit den Armen. Warum, das konnten wir erst sehen, als wir anlegten und die Stufen zum Pier hinaufkletterten. Die Leiche einer Frau lag völlig verkrümmt auf der Seite. Der … der Körper war aufgeschlitzt worden, und ihre Kleider waren mit Blut getränkt …« Er brachte den Satz nicht zu Ende, was nicht nur an seinen Emotionen lag, sondern auch am lauten Aufkeuchen und Stöhnen im Gerichtssaal. In der Zuschauergalerie weinte eine Frau, und Stimmengewirr erhob sich von Leuten, die tröstliche Worte murmelten oder andere zur Stille mahnten.
»Ruhe! Bitte, meine Damen und Herren!«, rief Richter Pendock. »Lassen Sie uns fortfahren. Gewähren Sie Sergeant Orme Gehör!«
»Danke, Mylord«, sagte Coniston nüchtern und wandte sich wieder an Orme. »Ich nehme an, dass Sie und Kommandant Monk die Überreste dieser armen Frau untersucht haben?«
»Jawohl, Sir. Es war nichts mehr zu machen. Für sie kam jede Hilfe zu spät«, krächzte Orme.
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