Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
das Mädchen. Sievewright hatte den Becher ihrer Wahl ausgespült und ließ jetzt einen Teebeutel hineingleiten. Sie tätschelte den Wasserkocher, damit es schneller ginge.
»Ist das ein Freundschaftsbesuch?«, fragte sie schließlich.
Hawes lächelte. »Nicht direkt. Es haben sich neue Fakten ergeben.«
»Was bedeutet, dass Sie niemanden verhaftet haben.«
»Stimmt«, räumte Hawes ein.
»Also, was sind das für Fakten?«
»Eine Frau mit einer Kapuze wurde dabei beobachtet, wie sie vor der Ausfahrt des Parkhauses herumstand.« Hawes zeigte ihr das Phantombild. »Wenn sie noch da war, müssten Sie direkt an ihr vorbeigekommen sein.«
»Ich hab niemand gesehen … Das hab ich Ihnen doch schon gesagt!«
»Sachte, Nancy«, meinte Hawes leise. »Beruhigen Sie sich.«
»Ich bin ruhig.«
»Der Tee tut Ihnen bestimmt gut.«
»Ich glaub, der Kocher ist hin.« Sievewright hielt die Hand daran.
»Nein, er funktioniert«, beruhigte Hawes sie. »Ich hör’s.«
Sievewright starrte auf die spiegelnde Oberfläche des Kochers. »Manchmal probieren wir aus, wie lange wir die Hand dranhalten können, während er kocht.«
»Wir?«
»Ich und Eddie.« Sie produzierte ein trauriges kleines Lächeln. »Ich gewinne immer.«
»Und Eddie wäre …?«
»Mein Mitbewohner.« Sie sah die Polizistin an. »Wir sind nicht zusammen.«
Die Wohnungstür knarrte, und sie wandten sich zum Flur. Es war Colin Tibbet.
»Er ist weg«, erklärte Tibbet den beiden.
»Ein Glück«, murmelte Sievewright.
»Hat er irgendwas gesagt?«, fragte Hawes ihren Partner.
»Bleibt offenbar eisern dabei, weder er noch seine Gattin hätte eine Frau mit Kapuzenmantel gesehen. Hat gefragt, ob das nicht vielleicht ein Gespenst gewesen sein könnte.«
»Ich meinte«, sagte Hawes mit tonloser Stimme, »ob er gesagt hat, warum er Nancy dermaßen zusetzt.«
Tibbet zuckte die Achseln. »Sagte, sie hätte so einen Schock gehabt, und da wollte er sichergehen, dass sie nicht alles in sich hineinfrisst. ›Probleme für später aufspeichert‹, waren, glaube ich, seine Worte.«
Eine Hand weiterhin an den Kocher gepresst, stieß Sievewright ein kurzes, höhnisches Lachen aus.
»Sehr edel von ihm«, sagte Hawes. »Und die Tatsache, dass sein Samaritertum Nancy alles andere als willkommen ist …?«
»Er hat versprochen, sich künftig von ihr fernzuhalten.«
»Wer’s glaubt«, sagte Sievewright abschätzig.
»Das Ding ist schon fast am Kochen!« Tibbet hielt es für angebracht, sie zu warnen, da er gerade erst bemerkt hatte, was sie mit ihrer Hand da trieb. Ihre Reaktion darauf war eine Mischung aus einer Grimasse und einem Lächeln.
»Möchte sonst noch jemand mitmachen?«, fragte Nancy Sievewright.
20
Die Schlagzeile auf Seite fünf der Evening News lautete DAS KAPITAL(ISTEN). Der sich daran anschließende Artikel schilderte ein Dinner in einem von Edinburghs Michelin-besternten Restaurants. Die rein russische Gesellschaft hatte das gesamte Lokal gebucht. Zu vierzehnt hatten sie sich ein Dinner, bestehend aus Gänseleberpastete, Jakobsmuscheln, Hummer, Kalb, Lendenfilet, Käse und Dessert gegönnt, und dieses mit dem Gegenwert von mehreren tausend Pfund an Champagner, weißem Burgunder und altem roten Bordeaux hinuntergespült, gefolgt von Portwein von vor dem Kalten Krieg. Summa summarum sechs Riesen. Der Berichterstatter schien besonders die Tatsache zu goutieren, dass der Champagner – Roederer Cristal – bereits den russischen Zaren geschmeckt hatte. Keiner der Dinner-Gäste wurde namentlich genannt. Rebus konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob Cafferty es geschafft hatte, sich auf die Gästeliste zu schleimen. Ein anderer Artikel, auf der gegenüberliegenden Seite, erklärte, dass die Zahl der Morde in der Stadt zurückgegangen sei: Im vergangenen Jahr hatte es zehn gegeben, im Jahr davor zwölf.
Sie saßen an einem großen Ecktisch in einem Pub in der Rose Street. Gleich würde es laut werden: Celtic bereitete sich auf den Anstoß gegen Manchester United in der Champions’ League vor, und die meisten Gäste starrten gebannt auf den Großbildschirm. Rebus faltete die Zeitung zusammen und schob sie wieder Goodyear zu, der ihm gegenübersaß. Ihm wurde bewusst, dass er das letzte Stück von Phyllida Hawes’ Bericht nicht mitbekommen hatte, also bat er sie, Andersons Worte zu wiederholen: Probleme für später aufspeichert.
»Ich werde dafür sorgen, dass er Probleme kriegt«, knurrte er. »Und er kann nicht behaupten, ich hätte ihn nicht
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