Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
doch das Wort leuchtete wie eine Anklage.
Lucas schüttelte den Kopf. „Das ist Unsinn, Jo.“
„Du hast recht“, sagte ich, unterdrückte das ungute Gefühl und raffte die Steine zusammen.
Stunden später stiegen Ryan und ich hundemüde die Stufen zu den Mansarden hinauf. Malcolm war schon längst schlafen gegangen, und auch Lucas und Finn hatten sich auf den Weg gemacht. Ich konnte sie über mir im Turm lachen hören.
„Ich finde es sehr schön, dass du dich mit Marlin vertragen willst“, meinte ich und unterdrückte ein Gähnen.
„Wer sagt, dass ich das will?“
„Niemand. Ich bin einfach davon ausgegangen. Immerhin hast du dich heute sehr, wie soll ich sagen, gentlemanlike benommen.“
„Ich habe nur erkannt, dass es nichts bringt, wenn ich tobe, brülle und ihn zusammenschlage. Im Gegenteil. Also muss ich dich davon überzeugen, dass ich der bessere Mann bin.“
„Der bessere Mann!“ Ich schnaubte durch die Nase, da mir Marlins Worte einfielen, die fast dieselben gewesen waren.
Wir waren endlich an meiner Tür angekommen. Ich wollte ihm gerade eine gute Nacht wünschen, als Ryan meinen Arm nahm und mich zurückhielt.
„Ich bin der bessere Mann, Jo. Du wirst es erkennen. Eines Tages.“
Dann küsste er mich sanft auf die Stirn und lächelte. „Gute Nacht!“
Kaum hatte ich mein Zimmer betreten und die Tür hinter mir geschlossen, begann es. Es fing in der linken Fensterecke an und schien dann aus allen Wänden zu strömen.
„Ryan?“, rief ich leise, doch da hatte sich bereits die Tür hinter mir geöffnet.
„Aye. Ich höre es auch“, sagte er und rief nach den Jungs.
Fast augenblicklich kam Lucas in seinen Boxershorts angelaufen. Ein breites Lächeln im Gesicht und ein kabelloses seltsames Gerät in der Hand, prallte er beinahe mit Finn zusammen, der soeben aus dem Bad gestürmt kam und noch immer Zahnpasta im Gesicht hatte. „Endlich!“, sagte er mit leuchtenden Augen und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Finn, Ryan und ich standen auf der Schwelle zu meinem Zimmer und lauschten dem seltsamen Gelächter, während Lucas mit dem Aufnahmegerät die Wände abtastete.
Mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Plötzlich schoss das Geräusch durch die Wand meines Zimmers und zog den Flur entlang. Ryan griff nach meiner Hand, und wir rannten los. Nach einigen Metern wurde es unerwartet leiser.
„Wo ist es?“ Finn drehte sich um sich selbst.
„Runter! Wir müssen runter!“ Lucas sauste um die Ecke zum Turm. Wir liefen ihm nach und eilten die Treppen hinab. Die Lautstärke nahm wieder zu, als wir eine Etage tiefer angekommen waren. Wir setzten dem Geräusch in den Ostturm nach, eilten die Treppen hinab bis ins Vestibül und verfolgten es dann Richtung Haupthalle. Das Lachen schwoll weiter an.
Als wir um die Ecke der Vorhalle bogen, wurden wir frontal von einer Windböe erfasst, dann gingen plötzlich alle Lichter aus. Mir stockte der Atem vor Schreck, doch Ryan zog mich rechtzeitig an der Hand zurück, bevor die schweren Portale der Haupthalle mit einem lauten Knall vor unseren Augen zufielen. Sofort verstummte das Lachen. Blasses Mondlicht fiel zu den Fenstern herein und malte Schatten auf den Boden.
„Finn!“, sagte Ryan im Befehlston.
„Die Fenster sind allesamt weit offen“, antwortete dieser. „Die meisten Bilder sind von den Wänden gerissen. Die Vitrinen an der rechten Seite sind zerschlagen.“
„Was noch?“
„Der Rundbogen ist weg.“
„Verdammt!“
Von einem Moment auf den anderen ging das Licht wieder an. Nur der Gesang des Windes und das Trommeln des Regens an den Fensterscheiben waren zu hören. Diese abrupte Ruhe wirkte auf mich wie Heimtücke und war beängstigender als der ganze Tumult zuvor. Ich spürte, wie Malcolm plötzlich meine Hand nahm und schaute auf. Er war blass und sah völlig verängstigt aus. Ich nickte und erwiderte den Druck seiner Finger. Dass es so sein würde, hatte auch ich mir nicht vorstellen können.
Ryan und Lucas standen vor der Tür und wechselten Blicke mit Finn. „Wie lange war das jetzt?“, fragte Ryan.
Finn sah auf seine Uhr. „Etwas mehr als fünf Minuten.“
„Er hatte es eilig“, sagte Lucas und grinste, als hätte er gerade eine wilde Achterbahnfahrt hinter sich.
„Mit euch alles in Ordnung?“, fragte Ryan.
„Nicht so recht“, sagte ich. „Aber es geht schon.“
„Okay, dann gehen wir rein, hm?“ Er lächelte.
„Ich schätze, den Rundbogen hier zusammenzusetzen war doch keine so gute
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