Ein sinnlicher Schuft
Hitze der Nacht. Nein, zärtlich und unabänderlich lag sein Mund auf ihrem, als wolle er etwas besiegeln. Als seine Zungenspitze dann ihre Lippen öffnete, entfuhr ihr ein Seufzen. Er nahm es als Zustimmung, zog ihren Körper enger an seinen, und willig folgte sie der Bewegung. Ihre Herzen pochten im Gleichklang, und beide spürten es.
Sie roch nach Wasser, Gras und Wind. Es war der Duft des Frühlings selbst. Und schmeckte nach Himmel.
Er hob den Kopf und hielt sie fest im Arm. Aber er würde sie nicht zu nehmen versuchen, wenngleich seine Männlichkeit unerbittlich drängte. Trotzdem, nicht noch einmal…
Von ferne hörte er Melody lachen und »Evan, Evan, Evan!« rufen, doch in seinem Innern erklang ein anderer Ruf, der nur ihr galt.
Pru, Pru, Pru.
Sie legte die Hände auf seine Brust und drückte ihn langsam von sich. Er ließ es zu, weil er kein Recht hatte, hier zu sein, sie zu halten, sie mit dem Herzen zu rufen. Ihre grauen Augen blickten ernst und verwirrt, als sie einen Schritt zurücktrat und ihr Haar aus seinem Griff befreite. »Was haben Sie vor, Sir? Was erwarten Sie von mir?«
Als er seine Stimme wiederfand, sagte er, was er auf gar keinen Fall hatte sagen wollen. »Ich begehre Sie.«
Sie blinzelte. »Was haben Sie gesagt?«
Er stand da, hilflos in seiner Not und nicht einmal imstande, verlegen mit der Schulter zu zucken. »Ich begehre Sie. Ich kann an nichts anderes mehr denken als daran, Sie zu berühren, Sie zu küssen… Und mit Ihnen zusammen zu sein.«
Eine ganze Weile starrte sie ihn an– die Lippen leicht geöffnet, die Augen weit und überrascht aufgerissen. So stand sie da, und je länger es dauerte, umso mehr hoffte er, sie würde zurück in seine Arme kommen.
Seine Hoffnung wurde zerstört. Sie trat mit vor der Brust verschränkten Armen von ihm zurück und schaute ihn wütend an. »Und was soll ich jetzt tun? Vor Dankbarkeit heulen? Glauben Sie vielleicht, Sie wärn der erste Typ, der an diese Tür klopft?« Ihre Mundwinkel hoben sich voller Abscheu, und er wusste, dass er verloren hatte. »Zeig ’nem Mann ein paar Titten, und er is wie alle andern. Schweine seid ihr. Alle zusammen.«
Dann ging sie auf ihn los, und ihr Zeigefinger bohrte sich in seinen Brustkorb. »Und was is mit der Frau, die an den Titten dranhängt, hm? Wird sie überhaupt gefragt? Is sie bloß ein Gerüst, auf dem ihr Kerls eure Lust befriedigt?«
Mit diesen Worten wirbelte sie herum, um davonzumarschieren, und ihm schien es fast, als würden sogar ihre Röcke wütend rascheln.
Colins Kehle wurde trocken. Das hatte er nun davon, solche Bilder heraufzubeschwören: wie er sie im Stehen nahm, ihre Röcke bis zur Taille hochgeschoben, ihre Schenkel um ihn geschlungen, während er so tief in sie hineinstieß, dass er sie an die Wand hätte nageln können.
Wie eine billige Hure.
Scham überkam ihn und vertrieb seine Lust. Sie hatte recht. Sie war ein Mensch, kein Objekt, das er nach Belieben benutzen konnte. Sein Verlangen war sein Problem, nicht ihres.
Sobald sie sich außerhalb seines Blickfelds befand, spürte Pru, wie die Kraft sie verließ. Mit weichen Knien und außer Atem ließ sie sich gegen den nächsten Baumstamm sinken. Gott, das war knapp gewesen.
Ich begehre Sie.
Ohne jahrelange Übung, sich der ungewollten Nachstellungen von Bühnenarbeitern und Botenjungen zu erwehren, die sich selbst als ein Geschenk der Götter an den weiblichen Teil der Menschheit betrachteten, hätte das alles vollkommen anders ausgehen können.
Vielleicht würde sie gesagt haben: »Oh, Mr Lambert, wie reizend! Mir geht’s ganz ähnlich.« Oder, was noch schlimmer gewesen wäre: »Is aber auch höchste Zeit, Chef! Da drüben gibt’s ein weiches Plätzchen. Auf geht’s.«
Trotzdem. Sie hatte soeben sich selbst erkannt. Es war nicht, wie sie sich einzureden versuchte, ihre hohe Moralvorstellung gewesen, die sie bislang vor Übergriffen schützte, sondern allein die Tatsache, dass sie sich zuvor nie verliebt hatte.
Und genau das war nun geschehen.
Wie sie von ihm träumte– wie ihr bei dem Gedanken, seine Hände auf ihrer fiebrigen Haut zu spüren, heiß wurde.
Ich begehre Sie.
Sie hatte wirklich ein Problem.
Wenn es Evan nicht gäbe, könnte sie seine Mätresse werden, warum nicht, und ein wenig Leidenschaft und Liebe genießen, wovon sie in späteren Jahren der Einsamkeit zehren könnte. Doch mit Evan war das undenkbar für sie.
Eines Tages, an diesem Gedanken richtete sie sich auf, würde sie einen Weg
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