Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
überdrüssig werden. Vielleicht würde irgendwann der Tag kommen, wo ihm ihre Interessen und Hobbys peinlich waren oder ihm auf die Nerven gingen. Susanna zweifelte manchmal daran, dass er überhaupt richtig wahrnahm, wie anders sie war. Sie musste unbedingt mit ihm darüber sprechen.
Plötzlich spürte sie, wie er anfing zu zucken, und sie legte ihre Hände auf seinen Arm und über seine Brust. Sein Atem kam jetzt stoßweise. Sie wollte ihn an sich ziehen, ihn trösten. Vermutlich durchlebte er gerade den immer wiederkehrenden Albtraum. Nur warum war es stets der gleiche?
Als Leo erwachte, merkte er sofort an der Stille im Schlafzimmer, dass er alleine war. Dabei musste es, dem Licht nach zu urteilen, noch sehr früh am Morgen sein. Er überließ sich wieder seiner Müdigkeit, denn wie immer hatte er nicht gut geschlafen. Trotz der tröstlichen Nähe von Susanna. Hoffentlich hatte er sie in der Nacht nicht beunruhigt – er konnte nie sicher sei, ob er nicht im Traum sogar aufschrie.
Mittlerweile fühlte er sich diesem nächtlichen Horror gegenüber völlig hilflos und ausgeliefert. Ihm schien, als wollten ihm seine Träume etwas sagen, doch er verstand die Botschaft nicht. Oder weigerte er sich einfach, das alles an sich heranzulassen: den Leichnam, die Ratten, die erstickende Dunkelheit? Dabei, das wusste er, war eine Erlösung von diesen Träumen nur möglich, wenn er einen Weg fand, sie zu enträtseln.
Er empfand das Bedürfnis, zunächst einmal alleine zu sein, einen klaren Kopf zu bekommen, bevor er Susanna und ihren Eltern gegenübertrat, und so unternahm er einen langen Ausritt. Nach all den Tagen in einer Kutsche eine Wohltat, obwohl der bedeckte Himmel Regen ankündigte. Nachdem er anschließend gefrühstückt hatte, machte er sich auf die Suche nach Susanna. Es musste doch in diesem Palast auch privatere Wohnräume geben als das, was er bislang zu Gesicht bekommen hatte.
Schließlich spürte er Lady Rose im Morgenzimmer auf, wo sie mit Mrs Townsend die Speisefolge für das Abendessen besprach. Sie entließ die Haushälterin und begrüßte ihn mit einem Lächeln. »Mr Wade, ich hoffe, Sie haben Ihren Ausritt genossen.«
»Das habe ich, Mylady, danke. Doch irgendwie ist mir meine Ehefrau in diesem riesigen Anwesen abhandengekommen. Haben Sie sie gesehen?«
Sie zögert kurz und senkte die Augen, bevor sie ihm antwortete. »Lassen Sie mich überlegen … Ach ja, haben Sie es schon im Musikzimmer versucht?«
Was sollte das? Susannas Mutter wusste sehr wohl, dass sie dort nicht war. Trotzdem ließ er sich nichts anmerken. »Da war sie nicht, Mylady. Falls Sie eine Idee haben, wo sie sein könnte, würde ich das gerne wissen. Den Professor habe ich übrigens ebenfalls bislang nicht gesehen. Könnten die beiden zusammen irgendwo sein? Ich werde einfach einen der Dienstboten fragen.«
Er wandte sich zum Gehen und lächelte befriedigt, als sie seinen Namen rief.
»Mr Wade, mir fällt gerade etwas ein: Mein Mann hat hier im Haus ein Laboratorium, es befindet sich im Dienstbotentrakt im Erdgeschoss. Vielleicht sind sie dort.« Sie sah ihn mit einem nervösen Lächeln an. »Vermutlich wissen Sie von Susannas Tätigkeit für ihren Vater, für die sie früher viel Zeit aufwandte. Es wäre gut, wenn sie künftig anderen Dingen den Vorzug geben würde. Ich hoffe nur, Sie haben Verständnis …« Sie seufzte, ohne den Satz zu beenden.
»Lady Rose, Sie brauchen mir nicht zu erklären, wie wichtig es Susanna ist, ihrer Malerei und anderen Hobbys nachzugehen. Ich halte sie für ziemlich talentiert.«
»Haben Sie die Arbeiten gesehen, die sie für ihren Vater angefertigt hat?«, fragte sie matt.
Interessiert legte er den Kopf auf die Seite. »Nein.«
»Dann schauen Sie sich das einmal an, und ich hoffe wirklich, dass Sie anschließend noch genauso denken.«
Von wachsender Neugier und Faszination erfüllt ließ Leo sich den Weg zeigen und wurde zu einer geschlossenen Tür geführt. Das Dienstmädchen knickste sichtlich nervös, machte kehrt und ergriff schnell die Flucht.
Er klopfte, und nach einem Moment wurde die Tür geöffnet. Ein schrecklicher Gestank schlug ihm entgegen. Es roch nach Verwesung und irgendetwas anderem, das er nicht definieren konnte. Er wich unwillkürlich zurück, doch dann trat Susanna zu ihm. Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Kleid, über das sie eine große Schürze mit dunklen Flecken gebunden hatte. Blut? In dem großen Raum mit den vielen Fenstern, der zusätzlich von mehreren
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