Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
vertraulicher Atmosphäre.
Wie es scheint, kann ich in dieser Woche morgens nichts anderes als Pflaumen essen. Ich habe ein Magensäureproblem und Sodbrennen, sodass ich nur noch im Sitzen einschlafe. Ich wehre mich mit Händen und Füßen gegen die Vorstellung, dass mein Ehemann diesen Sommer alles versucht hat, um mich umzubringen, nur damit er keinen Mut beweisen und sich seinem Leben nicht stellen muss. Und dass ich das in gewisser Weise zulasse.
Und dennoch liebe ich diesen Mann.
Meine Therapeutin fragt mich, warum ich ihn liebe. Genau genommen, bitte ich sie darum, mir diese Frage zu stellen. In der Filmversion läuft die Szene folgendermaßen ab:
Frau sitzt mit zerknülltem Papiertaschentuch auf mauvefarbener Ledercouch und lacht bitter, dann schweigt sie, was selten vorkommt, denn an sich ist sie sehr gesprächig. Sie ist sich
übrigens sicher, dass dies eine der Eigenschaften ist, die ihr Ehemann nicht mehr an ihr mag – ihre gesprächige Art. Sie schweigt. Die Frage hat sie verstummen lassen. Natürlich weiß sie, warum sie ihn liebt. Sie liebt ihn aus ganz offensichtlichen Gründen.
Nur fallen ihr im Moment leider keine ein. Alles, was ihr im Moment einfällt, ist das Thailändische Restaurant gleich die Straße hinunter und dass sie dort nach dieser Therapiesitzung vielleicht eine Tom-Kha-Gai-Suppe essen wird.
»Sicher fallen Ihnen einige Antworten auf diese Frage ein«, sagt die Therapeutin.
»Ich liebe ihn einfach«, sagt sie. »Ich liebe sein Lächeln. Ich liebe es, wie seine Haut riecht und sich anfühlt. Ich liebe seine Ausstrahlung. Er hat nie verlangt, dass ich etwas anderes bin als ich selbst. Außer jetzt, aber wie ich schon sagte … das nehm ich ihm nicht ab.«
Die Therapeutin hebt nicht ihre Augenbraue. Ein gutes Zeichen.
Ihr ist es fast ein bisschen peinlich auszusprechen, was sie oft denkt, aber dann fährt sie doch fort: »Wenn er ins Zimmer kommt, habe ich das Gefühl, alles ist in Ordnung. Mein Freund ist da. Der Spaß ist da. Sicherheit. Abenteuer. Coolness. Ich liebe es auch, dass er ein so guter Vater ist. Normalerweise.«
Die Therapeutin gibt ihr eine Hausaufgabe. Sie mag es. »Alle Ehen beruhen auf Vereinbarungen, ob ausgesprochen oder unausgesprochen. Probleme treten in einer Ehe dann auf, wenn einer oder beide Partner sich nicht an diese Vereinbarung halten. Schreiben Sie Ihre Ehevereinbarungen auf. Ihre und die, von denen Sie annehmen, dass es seine sind.«
Ach, wissen Sie, denkt sie sich, er hat mir ja nicht einmal einen klassischen Heiratsantrag gemacht. Wir haben das stattdessen gemeinsam entschieden.
Jetzt mal ehrlich, die Vorstellung von einem Mann, der niederkniet und eine Frau bittet, ihn zu heiraten, das kam ihr antiquiert und sexistisch und geradezu schmierig vor. Also sagte sie etwas richtig Cooles und Modernes, etwa: »Du wirst mich doch wohl nicht in einem Sessellift oder an einem ähnlich komischen Ort fragen, ob ich dich heiraten will, oder? Lass uns doch einander fragen.«
Vielleicht war das ein Fehler, denkt sie sich jetzt. Vielleicht hat es ihm seine Energie genommen. Sie fragt sich, wann sie ihn noch Energie gekostet haben könnte. Aber kann man die jemand tatsächlich wegnehmen? Wenn man zunächst einmal davon ausgeht, dass er für seine Energie selbst verantwortlich ist?
Sie fragten einander ein paar Wochen später an einem Fluss im Bundesstaat Washington. Sie waren übereingekommen, dass es Worte, Feuer und Wasser geben sollte. Gerne würde sie seine Worte jetzt noch einmal nachlesen. Wo hatte sie sie hingetan? Bestimmt irgendwo aufgehoben. In einer Mappe in ihrem Arbeitszimmer. Sie würde sie finden und ihm, falls nötig, später unter die Nase halten; wenn er tatsächlich Anstalten machte zu gehen.
Ehevertrag. Der ungeschriebene Text hinter dem Ehegelöbnis.
Das widerstrebte ihr genauso wie das Durchsuchen seiner Taschen oder das Beschnüffeln seiner Hemden. Doch sie denkt sich zurück, schlüpft in ihren Verstand von Mitte zwanzig. Was stand hinter den Worten, die sie damals am Altar sprach?
Bei ihr vielleicht: Dass er immer auf mich aufpassen wird. Du meine Güte. Igitt. Ist denn das die Möglichkeit? Ich bin doch schließlich ein Kind der Frauenbewegung! Dass er mich stets abgöttisch lieben soll. Dass er sich für alle Zeit seiner
Familie verpflichtet fühlt. Dass er immer ein Abenteurer bleibt. Sich niemals verkauft.
Und bei ihm? Das kann zwar eigentlich nicht wahr sein, aber sie glaubt es trotzdem: Dass sie immer schlank und schön
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