Ein stiller Waldteich: Die Erkenntnismeditation von Ajahn Chah (German Edition)
begreifen, daß Glück und Unglück, Freude und Schmerz immer bei uns sind. Wenn du ihr Wesen verstehst, sind Buddha und Dharma hier und jetzt gegenwärtig. Wenn du klar sehen kannst, ist jeder Erlebnismoment Dharma.
Aber die meisten Leute reagieren blindlings auf alles Angenehme: »Das mag ich, ich will mehr davon« und ebenso auf alles Unangenehme: »Geh weg, das mag ich nicht, ich will nicht mehr.« Falls du dir jedoch gestattest, dich der Natur jeder einzelnen Erfahrung auf einfachste Weise vollkommen zu öffnen, wirst du eins werden mit dem Buddha.
Es ist so einfach und unmittelbar, wenn du es erst einmal verstehst. Treten angenehme Dinge auf, begreife, daß sie leer sind. Wenn unangenehme Dinge auftreten, begreife, daß sie nicht ›du‹, nicht ›dein‹ sind und daß sie vergehen werden. Wenn du dich nicht mit Phänomenen identifizierst oder dich als ihr Eigentümer betrachtest, wird der Geist ausgeglichen. Diese Ausgeglichenheit ist der richtige Pfad, die wahre Lehre des Buddha, die zur Befreiung führt. Oft werden die Leute ganz aufgeregt: »Kann ich diese oder jene Samadhistufe erreichen? Welche psychischen Kräfte kann ich entwickeln?« Sie übergehen völlig die Lehre des Buddha und geben statt dessen einem Bereich den Vorzug, der nicht sehr nützlich ist. Der Buddha ist in den einfachsten Dingen direkt vor deiner Nase zu finden, vorausgesetzt, du bist willens zu schauen. Die Essenz dieser Ausgeglichenheit ist der Geist, der nach nichts greift.
Wenn du zu praktizieren beginnst, ist es wichtig, ein gutes Gefühl für die Richtung zu haben. Anstatt daß du dir nur vorzustellen versuchst, wo es langgeht, und dabei im Kreise herumwanderst, solltest du entweder eine Karte zu Rate ziehen oder jemanden fragen, der schon dort gewesen ist. Der Weg zur Befreiung, den der Buddha zuerst lehrte, ist der Mittlere Weg, der zwischen den Extremen des Schwelgens in Begierde und der Selbstkasteiung liegt. Der Geist muß allen Erfahrungen gegenüber offen sein, ohne seine Ausgeglichenheit zu verlieren, ohne in diese Extreme zu verfallen. Das ermöglicht dir, die Dinge zu sehen, ohne auf sie zu reagieren, ohne nach ihnen zu greifen oder sie zu wegzuschieben. Wenn du diese Balance verstehst, dann wird der Pfad klar. Wenn dein Verständnis wächst, wirst du bei auftretenden angenehmen Dingen erkennen, daß sie nicht andauern werden, daß sie leer sind und keine Sicherheit bieten. Unangenehme Dinge werden ebenso kein Problem darstellen, da du in gleicher Weise ihre Unbeständigkeit und Leerheit erkennst. Und wenn du weiter auf dem Pfad voranschreitest, wirst du schließlich zu der Einsicht kommen, daß nichts in der Welt von eigentlichem Wert ist. Es gibt nichts, woran du dich festhalten kannst. Alles gleicht einer alten Bananenschale oder einer Kokosnußhülse – du hast keine Verwendung dafür; es übt keinen Reiz auf dich aus. Wenn du erkennst, daß alle Dinge der Welt wie Bananenschalen sind, die für dich keinen großen Wert haben, dann bist du frei, durch die Welt zu streifen, ohne dich auf irgendeine Weise gestört oder verletzt zu fühlen. Dies ist der Pfad, der dich zur Freiheit führt.
Frage:
Empfehlen Sie Schülern lange, intensive und stille Retreats?
Antwort: Das ist von Fall zu Fall verschieden. Du mußt lernen, in allen Situationen zu praktizieren, sowohl auf dem Marktplatz als auch in der Abgeschiedenheit. Dennoch ist es hilfreich, dort zu beginnen, wo es ruhig ist. Das ist einer der Gründe, warum wir im Wald leben. Zu Beginn macht man alles langsam, um Achtsamkeit zu entwickeln. Nach einer Weile lernst du, in jeder Situation achtsam zu sein.
Einige Leute haben um Erlaubnis gebeten, sechs Monate oder ein Jahr lang schweigend und intensiv zu praktizieren. Was das betrifft, gibt es keine Regel; das muß individuell entschieden werden. Es ist wie mit den Ochsenkarren, die von den Dorfbewohnern hier in der Gegend benutzt werden. Wenn der Fahrer eine Ladung in die Stadt befördern will, muß er die Balastbarkeit des Karrens, der Räder und der Ochsen abschätzen. Schaffen sie es oder nicht? In der gleichen Weise müssen Lehrer und Schüler zugleich die Möglichkeiten und die Grenzen kennen. Ist der Schüler reif für diese Art der Übung? Ist dies der richtige Zeitpunkt? Sei einfühlsam und vernünftig; kenne und respektiere deine eigenen Grenzen. Auch das ist Weisheit.
Der Buddha sprach von zwei Formen der Praxis: Befreiung durch Weisheit und Befreiung durch Konzentration. Menschen, die von ihrer
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