Ein stiller Waldteich: Die Erkenntnismeditation von Ajahn Chah (German Edition)
Veranlagung her zur Befreiung durch Weisheit neigen, hören das Dharma und beginnen es sofort zu verstehen. Da die gesamte Lehre nur daraus besteht, von Dingen abzulassen, sie loszulassen, beginnt bei diesen Menschen die Praxis des Loslassens auf sehr natürliche Weise, ohne viel Anstrengung oder Konzentration. Diese einfache Praxis kann sie schließlich über ihr Ich hinausführen, an den Ort, wo es kein Loslassen mehr gibt und auch niemanden, der festhält.
Andere hingegen benötigen viel mehr Konzentration. Sie müssen über einen langen Zeitraum hinweg auf sehr disziplinierte Weise sitzen und praktizieren. Die dadurch gewonnene Konzentration ist, sofern sie richtig angewendet wird, die Grundlage für tiefe, durchdringende Erkenntnis. Wenn der Geist vollkommen konzentriert ist, gleicht das dem erfolgreichen Abschluß auf dem Gymnasium – man kann nun zur Universität gehen und alle möglichen Fächer studieren. Mit einem tiefen Samadhi kann man die verschiedenen Stufen der Vertiefung erreichen oder alle Ebenen der Erkenntnis erlangen; es hängt ganz davon ab, wie du dich entscheidest, es zu gebrauchen.
In beiden Fällen müssen Befreiung durch Weisheit und Befreiung durch Konzentration zur selben Freiheit führen. Jedes Werkzeug unserer Übung, das wir ohne Anhaftung benutzen, kann uns zur Befreiung führen. Sogar die Regeln – ob nun die fünf Regeln für Laien, die zehn für Novizen oder die 227 für Mönche – können auf diese Weise benutzt werden. Da Achtsamkeit und Hingabe erforderlich sind, um diesen Regeln zu folgen, sind deren Nutzen grenzenlos. Wenn man zum Beispiel die Grundregel der Aufrichtigkeit immer weiter verfeinert, sie auf alle äußeren Handlungen und inneren Betrachtungen anwendet, ist dies ein Prozeß ohne Ende. Er kann dich zur Befreiung führen, wie jedes andere Dharmawerkzeug auch.
Frage:
Ist es von Nutzen, die Meditation der liebenden Güte als einen eigenständigen Teil der Praxis zu üben?
Antwort: Worte liebender Güte zu wiederholen, kann nützlich sein, doch ist es eher eine Übung für Anfänger. Wenn du wirklich in deinen eigenen Geist geschaut und dich in der grundlegenden buddhistischen Praxis geübt hast, wirst du begreifen, daß sich wahre Liebe einfach manifestiert. Wenn du die Ich-Du-Trennung aufhebst, findet eine tiefe, ganz natürliche Entwicklung statt, die sich von dem Kinderspiel, formelhaft zu wiederholen: »Mögen alle Wesen glücklich sein. Mögen alle Wesen nicht leiden«, unterscheidet.
Frage:
Wohin sollten wir gehen, um das Dharma zu studieren?
Antwort: Wenn du nach dem Dharma suchst, wirst du herausfinden, daß es nichts mit Wäldern, Bergen oder Höhlen zu tun hat – es existiert im Herzen. Die Sprache des Dharmas ist nicht Englisch, Thai oder Sanskrit. Es hat seine eigene Sprache, die für alle Menschen gleich ist – die Sprache der Erfahrung. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Konzepten und direkter Erfahrung. Wer immer seinen Finger in ein Glas heißen Wassers hält, wird die gleiche Erfahrung ›heiß‹ machen, doch sie wird durch viele Wörter in unterschiedlichen Sprachen beschrieben. In gleicher Weise werden alle, die tief in ihr Herz schauen, dasselbe erfahren, unabhängig von Nationalität, Kultur oder Sprache. Wenn dein Herz erst einmal den Geschmack des Dharmas gekostet hat, wirst du eins mit allen anderen Wesen. Das ist wie ein großes Familientreffen.
Frage:
Unterscheidet sich denn der Buddhismus sehr von anderen Religionen?
Antwort: Es ist die Aufgabe aller wahren Religionen, einschließlich der buddhistischen, den Menschen zu dem Glück zu verhelfen, das durch das klare und aufrichtige Erkennen aller Phänomene entsteht. Jede Religion, Praxis oder Denkrichtung, die dies vollbringt, kann man, wenn du willst, Buddhismus nennen.
Im Christentum beispielsweise, ist Weihnachten einer der wichtigsten Feiertage. Eine Gruppe westlicher Mönche entschied sich letztes Jahr, Weihnachten zu einem besonderen Tag zu machen, mit einer Zeremonie des Schenkens und der guten Werke. Einige meiner Schüler stellten dies in Frage und sagten: »Wie können sie Weihnachten feiern, wo sie doch zu buddhistischen Mönchen ordiniert worden sind? Ist das nicht ein christlicher Feiertag?«
In meinem Dharmavortrag erklärte ich daraufhin, daß alle Menschen auf der Welt grundsätzlich gleich sind. Bezeichnungen wie Europäer, Thai oder Amerikaner zeigen nur an, wo ein Mensch geboren wurde oder welche Farbe sein Haar hat, doch alle haben grundsätzlich
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