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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Nöte vertrieb. Natürlich klangen ihre Darstellungen in einigen Punkten maßlos übertrieben – Hubschrauber – und in anderen so, als bausche sie Nichtigkeiten und Selbstverständlichkeiten zu herausragenden Leistungen auf. Aber bei ihr musste das wohl so sein. Irgendwann fragte sie:
    «Möchten Sie meine Mutter sehen?» Als ich nickte, erhob sie sich von der Couch. Ich hatte zwischenzeitlich in einem Sessel Platz genommen. Sie ging zu ihrem Gepäck neben der Tür, zog ein Schlüsselchen aus einer Hosentasche, öffnete damit das winzige Vorhängeschloss und nahm es aus den beiden Metallringen. Dann zog sie den Lederriegel unter den Griffen heraus und die Tasche auf. Sie kramte etliche Sekunden lang in den Tiefen, ehe sie sich wieder aufrichtete mit einem schmalen Fotoalbum in den Händen. Sie hielt es tatsächlich mit beiden Händen, als trage sie einen geweihten Gegenstand. Ich musste mich neben sie auf die Couch setzen, damit sie das Album nicht aus der Hand geben musste, um mich einen Blick auf ihre Mutter werfen zu lassen. Dann saßen wir da, sie mit untergezogenen Beinen, so dicht an meine Seite gelehnt, dass ich den Arm auf die Rückenlehne und damit fast um ihre Schultern legen musste. Das Album hielt sie im Schoß, schlug es ganz hinten auf. Ganz kurz sah ich auf der allerletzten Seite zwei Fotos mit Zeitangaben darunter. Beide Aufnahmen waren demnach im Dezember 2 entstanden und dokumentierten offenbar einen Trauerfall in der Familie. Auf einem war ein Doppelgrab mit pompösem Grabstein und üppigem Blumenschmuck abgelichtet, auf dem zweiten der Ausschnitt eines schlecht beleuchteten Zimmers. In einer Ecke war ein Teil des geschmückten Baumes auszumachen. Die brennenden Kerzen stachen wie Leuchtkäfer aus dem übrigen Dämmer hervor. Neben dem Baum eine Couch, auf der drei schwarz gekleidete Personen saßen. Ehe ich genauer hinschauen konnte, klappte Candy eine Seite um, legte eine Hand auf den linken Teil der nun sichtbaren Doppelseite und zeigte mit einem Finger auf die rechte Haftfolie. Darunter war nur ein Bild in Postkartengröße genau in die Mitte der Seite gelegt. Und Candy sagte andächtig:
    «Das ist sie.» Von einer erstaunlichen Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter konnte man wahrhaftig nicht reden, es gab überhaupt keine. Die Aufnahme zeigte ein unscheinbares, pummeliges junges Mädchen mit schmalem Gesicht, sehr hellem Haar und scheuem Lächeln in einem geblümten Sommerkleid neben einem Baum auf einer Wiese. Im Hintergrund nur freies, grünes Land und weiter Himmel. Das Auge des Betrachters sollte wohl nicht abgelenkt werden von der Gestalt in der Mitte. Der Rocksaum bedeckte züchtig die Knie. Das Gras, in dem sie stand, reichte ihr fast bis zu den Fußknöcheln und ließ eben noch die Kanten der weißen Söckchen frei. Unter dem Bild stand fein säuberlich in Druckbuchstaben: Helga, August . In dem Jahr war ich acht gewesen, und ich erinnerte mich deutlich an die Minis, vor allem an den Krach daheim, wenn meine Schwester wieder einmal zur Schere gegriffen hatte, um den mütterlichen Vorstellungen von Rocklänge zuvorzukommen. Ich rechnete kurz nach, wenn Helga inzwischen zweiundvierzig war, musste sie im September geboren und auf dem Foto fast zweiundzwanzig Jahre alt gewesen sein. Sie sah entschieden jünger aus.
    «Da war sie bei Margarete in Philadelphia», erklärte Candy.
    «In den Semesterferien ist sie immer für einige Wochen in die Staaten geflogen.» Immer. Das klang, als habe Helga ihr Studium in Köln abgeschlossen. Bisher hatte es auch jedes Mal so geklungen, wenn Candy über die Zeit ihrer Mutter in meiner Heimatstadt sprach.
    «Sie hingen sehr aneinander», fuhr Candy fort.
    «Als meine Mutter geboren wurde, waren meine Großeltern schon alt. Tante Gertrud hatte in Heidelberg bereits ihr Examen gemacht. Margarete studierte in Hamburg und lebte noch daheim. Und sie sagte oft, sie hätte sich wie Helgas Mutter gefühlt, nicht wie ihre Schwester.» Ein ellenlanger Seufzer, den Blick auf dieses unscheinbare Wesen gerichtet, ein Lächeln, dessen Zärtlichkeit mich ein wenig schaudern ließ. Candy strich mit den Fingerspitzen über die Haftfolie und erzählte weiter. Jetzt hieß es nicht mehr
    «meine Mutter», nur noch Helga. Sie sei ein Kind wie ein Gottesgeschenk gewesen. Alle hätten Helga geliebt, die Eltern, die Schwestern, die beiden Schwager, sämtliche Nachbarn und alle Lehrer. Tante Gertrud hatte erst vor zwei Tagen wieder erzählt, was für ein stilles und

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