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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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einmal, ganz in Gedanken versunken. Ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte. Aber ich wusste jetzt, glaubte zumindest zu wissen, wie es mit Helga weitergegangen war. Von der großen Liebe bitter enttäuscht, einen kleinen Trost bei Dad gefunden, der von jedem Jahr sechs Monate auf einem Forschungsschiff verbrachte und Helga mit der Tochter an Land zurückließ – und mit ihren Erinnerungen. Wie oft mochte Helga wohl von ihrer großen Liebe erzählt haben? Und Candy stöberte nun den verlorenen Träumen nach. Ich wartete darauf, dass sie ihre Hand von der linken Seite des Albums nahm. Als sie das endlich tat, fiel mein Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf ein Foto, das an Bord eines Schiffes entstanden sein musste, und nach einem weiteren Umblättern auf Helga, Mai . Manche Leute haben seltsame Gewohnheiten. Dieselbe Wiese, derselbe Baum, ein Kirschbaum, diesmal in üppiger Blüte. Das gleiche scheue Lächeln, dasselbe geblümte Sommerkleid, sogar die Kanten der weißen Söckchen waren wieder über dem Gras zu erkennen. Sie stand so verloren, so von Gott und der Welt verlassen im knöchelhohen Gras. Das Gesicht noch schmaler als im August . Der Körper wirkte eingefallen. Angesichts der Jahreszahlen wurde mir klar, dass es wohl nicht nur ein Besuch in den Semesterferien gewesen war. Zu dem Zeitpunkt musste unter dem geblümten Sommerkleid ein gebrochenes Herz geschlagen haben. Aber dem Anschein nach hatte Helga sich sehr schnell mit Dad getröstet. Im Arm hielt sie ein gewickeltes Bündel.
    «Das bin ich», sagte Candy.
    «Da war ich drei Wochen alt.» Und stramm gewickelt in ein weißes Tuch, wie man es eigentlich in den frühen Fünfzigern getan hatte, was ich von alten Fotos aus den Alben meiner Eltern wusste. Ein Mützchen auf dem Kopf, die winzigen Fäuste hochgereckt. Viel mehr war von ihr nicht zu erkennen. Ob sie tatsächlich erst drei Wochen oder etwas älter gewesen war, weil das Forschungsschiff vom siebzehnten Breiten- oder Längengrad bis nach Philadelphia eine Weile gebraucht hatte, ließ sich nicht feststellen. Ich nahm jedoch an, dass Dad nach ihrer Geburt schnellstmöglich Kurs auf den Heimathafen genommen hatte. Die jammervolle Gestalt im Gras tat mir ebenso Leid wie das stramm gewickelte Bündel in ihrem Arm. Helga sah nicht aus, als hätte sie es irgendwann geschafft, sich aus ihrem Blümchenkleid zu befreien. Vielleicht war es nur ihr Anblick; die Schwermut, die Candys Gesicht überschattete, tat gewiss auch etwas dazu. Fürs Erste, fand ich, hätte ich genug über Helga gehört und auch genug von ihr gesehen. Jetzt sollte ich dafür sorgen, dass wir etwas in den Magen bekämen. Die dringend nötigen Einkäufe hatte ich am Vormittag nicht gemacht. Ich fragte Candy, ob sie eine Dose Ravioli entbehren könne, und bot als Revanche die Couch für eine weitere Nacht, auch für zwei oder drei. Bis Mittwochabend auf jeden Fall. Und wenn mich jemand gefragt hätte, warum ich ihr dieses Angebot machte, ich hätte es nicht begründen können, nicht zu diesem Zeitpunkt. Es war kein reines Mitleid, aber es hatte auch noch nichts mit Liebe zu tun. Ich kam mir selbst ein bisschen verwegen und leichtsinnig dabei vor. Ihren Familiennamen kannte ich immer noch nicht, dachte momentan auch nicht daran, sie danach zu fragen. Ich mochte sie, traute ihr einfach keine Schlechtigkeit zu, das war alles. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie nach zwei Fehlschlägen kapitulierte. Vielleicht gab es noch ein paar Adressen, zu denen sie sich von mir nicht hinfahren lassen mochte. Zur Uni wollte sie ja auf jeden Fall noch. Und ich wollte nicht, dass sie sich mit ihrer Naivität und Vertrauensseligkeit in Schwierigkeiten brachte. Genau so erklärte ich es ihr auch. Sie hörte aufmerksam zu, neigte den Kopf leicht zur Seite, tat sie immer, wenn sie unschlüssig war.
    «Das wäre toll», meinte sie nach ein paar Sekunden.
    «Ich bleibe gerne, aber nur unter einer Bedingung, genauso wie in der vergangenen Nacht, ich schlafe auf der Couch und Sie in Ihrem Bett.» Als ich nickte, strahlte sie mich an.
    «Das würde ich sonst keinem glauben. Ich weiß nicht, warum ich es Ihnen glaube.»
    «Dir», sagte ich. Ich duzte sie doch schon die ganze Zeit. Sie nickte ernsthaft und streckte mir förmlich die Hand entgegen.
    «Okay, Mike.» Da sagte sie das zum ersten Mal, und ich höre es heute noch, dieses weiche, lang gezogene ai. Und obwohl es immer noch so entsetzlich weh tut, wenn ich die Uhr um vierzehn Jahre

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