Ein süßer Sommer
begründen. Statt nach den neuen Unterlagen erkundigte ich mich, ob gerade eine junge Dame in einem roten Kostüm hier gewesen sei und nach mir gefragt hätte. Frau Grubert überreichte mir die heiklen Papiere, nur ein Schnellhefter diesmal, der Inhalt bestand aus einer weiteren, etwa fünfzig Seiten starken kryptographischen Liste mit Dateikürzeln. Dabei lächelte sie so hintersinnig, als sei sie in sämtliche Geheimnisse eingeweiht, und wollte wissen, ob ich die junge Dame kenne.
«Flüchtig», sagte ich.
«Und die Familie?»
«Noch flüchtiger», sagte ich.
«Gibt es da Probleme?», bohrte Frau Grubert weiter.
«Warum?»
«Nun, die Dame verlangte in einer dringenden familiären Angelegenheit den Chef zu sprechen», teilte Frau Grubert mit. Ihrer Miene nach zu schließen, erwartete sie jetzt von mir Aufklärung über diese Angelegenheit. Candy hatte ihr offenbar nähere Auskünfte verweigert. Und unsere gute Frau Grubert war nicht daran gewöhnt, wie eine Vorzimmerdame behandelt zu werden. Immerhin war sie Chefsekretärin und Vertretung des Chefs, im Gegensatz zu ihm immer da und deshalb die erste Anlaufstelle für jeden Auftraggeber.
«Probleme würde ich das nicht nennen», antwortete ich.
«Soweit ich weiß, sucht sie nur einen früheren Bekannten ihrer Mutter.»
«Und was ist daran so dringend?» Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es ihr verraten. Aber es musste sehr dringend sein, wenn Candy die Hilfe eines vermeintlichen Steuerberaters ablehnte, sich nur dessen Auto borgte und lieber einen Fachmann mit der Suche beauftragte. Dass sie aus purer Neugier auf Mamis Jugendliebe eine Menge Geld ausgeben wollte, konnte ich mir nicht vorstellen.
«Nun», meinte Frau Grubert immer noch lächelnd,«wir werden es sicher bald erfahren.» Dass Candy es geschafft hatte, bis zu Hamacher vorzustoßen, grenzte an ein Wunder. Ohne vorherige Terminvereinbarung ging bei ihm normalerweise gar nichts. Nicht einmal alte Stammkunden wie die Gräfin von Sowieso, die ihrer Tochter sämtliche Männer vermieste, oder der Herr Ministerialrat Dr. Holger Gerswein mit seiner Vorliebe für junge Mädchen und seiner Angst vor unliebsamen Überraschungen konnten einfach so hereinplatzen. In Hamachers Terminkalender gab es keine Lücken. Selbst die Mittagszeit verbrachte er häufig mit Kunden, natürlich außer Haus. Aber vielleicht hatte er bis zur nächsten Verabredung noch zehn Minuten Zeit und langweilte sich. Er war ein Typ, der absolut keinen Leerlauf verkraftete, mit Leib und Seele Detektiv. Und der überaus seltene Name Schmitt amüsierte ihn und machte ihn neugierig. Hamacher glaubte keine Sekunde lang, dass Candy sich mit ihrem richtigen Namen vorgestellt hätte. Sie sei zu Beginn ihres Auftritts ziemlich forsch gewesen, sagte er später. Und er habe unentwegt an den Titel des Schlagers denken müssen, mit dem sein Sohn ihm abends mindestens zwanzigmal auf die Nerven ging.
«Lady in Red». Gut, eine Lady war sie nicht, nur ein junges Mädchen in einem knappen, roten Kostüm, das entschieden mehr als üblich von ihren Beinen zeigte, vielleicht in der Hoffnung, damit eher zum Ziel zu kommen. Aber der kurze Rock bewirkte das Gegenteil. Hamacher war ein Mann, der aus solchen Äußerlichkeiten seine Schlüsse zog. Dass sie sich an meinen Chef wandte, ahnte Candy kaum. In meinen Schränken geschnüffelt, wie ich zuerst meinte, hatte sie wohl doch nicht. Vermutlich war ihr die entsprechende Messingtafel neben der Eingangstür wieder eingefallen, obwohl man aus dem Begriff Agentur noch nicht auf eine Detektei schließen konnte. Vielleicht hatte sie sich auch im Branchenverzeichnis kundig gemacht, wie sie es Hamacher erklärte. Ein paar Adressen herausgesucht, sich die Leute, vielmehr ihre Büros angeschaut. Sie wollte keinen von diesen Habenichtsen engagieren, die sich mit Mühe und Not über Wasser hielten, sondern einen Detektiv, dessen Büro zeigte, dass er erfolgreich arbeitete. Im Branchenverzeichnis war die Agentur Hamacher unter der richtigen Rubrik zu finden. Und dass sie erfolgreich war, begriff man spätestens, wenn man Frau Grubert gegenüberstand. Hamacher nannte Candy zielstrebig und sagte, ihm seien wegen des Namens Schmitt gleich drei Dutzend der alten Detektivgeschichten in den Sinn gekommen, die er als Kind pfundweise verschlungen habe. Sie hatten ausnahmslos im fernen Amerika gespielt, und jeder der Akteure, der etwas zu verbergen hatte, nannte sich Smith oder Miller. Und dass sie dort herkam, bewies ihr
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