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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Gebetbuch löste sich auch der letzte Rest von Unruhe in Wohlgefallen auf. Man durfte einfach Candys Alter nicht übersehen. Ganze neunzehn Jahre, wie viel Enthusiasmus lag darin, wie viele zu Wichtigkeiten aufgebauschte Nichtigkeiten. Ich hörte sie über die Dünnsäureverklappung referieren und über das Sterben der Robbenbabys. Ich hörte sie sagen:
    «Und wenn ich dann anfange, sind vielleicht keine mehr da. Können Sie sich vorstellen, wie wütend mich das macht und wie traurig?» Ach, Candy, dachte ich. Ein Löffel Honig gegen die Profitgier der Welt. Mit neunzehn Jahren erschien das noch durchaus realisierbar. Und ebenso realisierbar schien die Suche nach Muttileins verlorener Jugend, nach den Monaten des unbeschwerten Glücks und der großen Liebe – um die sich irgendein Geheimnis ranken musste, wozu sonst so viel Mühe mit einer Geheimschrift? Und es passte zu Candy, nach zwei ergebnislosen Versuchen auf eigene Faust einen Fachmann mit der Aufgabe zu betrauen. Dass sie sich dafür meinen Wagen ausgeliehen hatte – Schwamm drüber. Es reizte mich, ein paar der Seiten abzulichten, mich später in Ruhe an einer Dechiffrierung zu versuchen und meine Vermutung zu beweisen. Aber dafür brauchte ich einen Fotoapparat aus den Beständen meines Arbeitsgebers, mein eigener schien mir für solche Zwecke ungeeignet. Ich wickelte Album und Büchlein wieder in den schwarzen Schlauch, räumte die Tasche ebenso systematisch ein, wie ich sie ausgeräumt hatte. Dann wollte ich zur Wohnungstür, um den Ford zurückzubringen und stattdessen einen Fotoapparat auszuborgen. Doch genau in dem Moment wurde der Schlüssel von außen eingesteckt. Es war eine Sache von Sekundenbruchteilen, stehen bleiben und so tun, als sei ich gar nicht fort gewesen, oder … Es ist nun mal sehr aufschlussreich, Leute zu beobachten, die sich unbeobachtet fühlen. Und da gab es den zweitürigen Einbauschrank in der Diele, zentral gelegen, mit Belüftungsschlitzen in Augenhöhe, die groß genug waren, um durchzuschauen. Ich stand direkt davor. Und noch ehe die Wohnungstür völlig offen war, hatte ich mich zwischen Staubsauger, Putzeimer und das Bügelbrett gequetscht, das ich noch nie gebraucht hatte, weil meine Mutter mir die Wäsche einschließlich meiner Hemden immer schrankfertig zurückbrachte. Mein Sehfeld war zwar stark eingegrenzt, aber ich hatte alle Zimmer im Blick, mit Ausnahme des Badezimmers. Das lag neben dem Einbauschrank. Das Wohnzimmer befand sich direkt gegenüber. Die große Couch und der Beistelltisch mit dem Telefon darauf waren sehr gut zu sehen. Von der Küche sah ich nur eine Ecke vom Tisch und den Kühlschrank, im Schlafzimmer einen Teil vom Bett. Von Candy sah ich erst einmal nichts, aber ich hörte sie. Zuerst die unbefangene Stimme:
    «Hallo, Mike. Tut mir Leid, dass es später geworden ist. Aber ich habe noch eingekauft, und …» Dann das Stutzen, das Zögern. Noch ein fragendes:
    «Mike?» Sie kam dicht am Einbauschrank vorbei. Ich sah ein bisschen von ihrem Haar und hörte das schmatzende Federn von Gummisohlen auf den Keramikfliesen. Sie ging in die Küche, bepackt mit zwei Plastiktüten. Das Handtäschchen hatte sie unter den Arm geklemmt. Sie musste sich in irgendeinem Klo umgezogen haben, trug Jeans und die Blousonjacke mit den geräumigen Taschen. Wozu sie die angezogen hatte, war mir ein Rätsel, draußen waren es um die achtundzwanzig Grad. Vielleicht kaschierte sie mit der Jacke nur den prallen Geldgürtel, der unter einem T-Shirt zwangsläufig auffallen musste. Die Tüten legte sie auf dem Tisch ab, suchte offenbar nach einer Nachricht. Ich hatte keine hinterlassen, und sie zuckte mit den Achseln. Ihr Gesicht bekam etwas Gleichgültiges. Sie griff in eine der Tüten, nahm den Inhalt heraus und legte ein Päckchen mit Frischfleisch in den Kühlschrank. Ein paar Joghurtbecher, eine Schale mit frischen Champignons und ein Toastbrot blieben vorerst auf dem Tisch liegen. Candy nahm die zweite Tüte wieder auf und ging ins Schlafzimmer. Ihr Handtäschchen warf sie achtlos auf mein Bett, zog die Jacke aus, zerrte das T-Shirt aus der Jeans. Darunter trug sie den Gürtel mit ihrem Vermögen, löste ihn und warf ihn zu Jacke und Täschchen aufs Bett. Ihre Bewegungen und die Mimik dabei verrieten Wut und Frust. Fast rechnete ich damit, dass sie irgendetwas gegen die Wand schleuderte. Anschließend zog sie das rote Kostüm und die hochhackigen Sandalen aus der Tüte, faltete das Kostüm akkurat auf meinem Bett zusammen.

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