Ein süßer Sommer
Hamacher gehört.
6. Kapitel
Als ich – wieder mit einem Taxi und ohne Fotoapparat – heimkam, war es kurz vor sechs. Candy saß auf der Couch neben dem Telefon, in derselben Position wie am Nachmittag, aber ruhig, irgendwie verträumt. Dass sie herzzerbrechend geweint hatte, sah man ihrem Gesicht nicht mehr an. Sie musste es sehr lange gekühlt haben, hatte sich die Stereoanlage angemacht und hörte leise Musik. Pink Floyd –
«Wish You Were Here». Als ich die Diele betrat, sprang sie mit beiden Beinen zugleich auf den Boden.
«Hallo, Mike.» Auf nackten Füßen kam sie auf mich zu. Einen Augenblick lang rechnete ich damit, dass sie die Arme um meinen Nacken schlang. Aber dicht vor mir blieb sie stehen, legte beide Hände auf den Rücken und wippte auf den Zehenspitzen. Dann kam ein lang gezogener Seufzer.
«Da bist du ja endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Wo warst du denn die ganze Zeit? Warum hast du mir keinen Zettel hingelegt? Ich wusste gar nicht, was ich tun sollte.» So begrüßt man Leute, die man seit einer Ewigkeit kennt und für einige Zeit entbehren musste. Ihre Stimme klang tatsächlich nach Erleichterung.
«Ich bekam einen Anruf und musste ins Büro», erklärte ich wahrheitsgemäß. Sie zuckte unbehaglich mit den Achseln, ein Hauch von Schuldbewusstsein schob ihr kurz die Zungenspitze über die Lippen.
«Aber du hast doch Urlaub. Ich dachte nicht, dass du wegmusst, sonst hätte ich nicht …»
«Ich habe mir ein Taxi genommen», sagte ich knapp. Sie seufzte zum Gotterbarmen.
«Du klingst so komisch, Mike. Bist du mir böse, weil ich dein Auto genommen habe?»
«Dir nicht», sagte ich,«nur meinem Chef.» Das leuchtete ihr sofort ein. Wer aus dem Urlaub gepfiffen wurde, durfte sauer sein. Der vertraute Strom brach sich für ein, zwei Minuten seine Bahn. Ein Satz nach dem anderen, so rasch, dass sie fast übereinander purzelten.
«Ich hatte eine Menge zu erledigen, weißt du. Und ich dachte, wo du Urlaub hast und daheim bleibst, brauchst du den Wagen ja nicht. Und ich fahre gut, Mike, ehrlich, da musst du dir überhaupt keine Sorgen machen. Ich hatte das ganze letzte Jahr Mamis Wagen, der ist noch größer als deiner. Mit der Straßenbahn wäre das viel zu umständlich gewesen, damit kenne ich mich hier ja auch gar nicht aus. Und Taxi ist immer gleich so teuer. Das Geld habe ich lieber für wichtige Dinge ausgegeben. Ich habe nämlich eingekauft. Wenn ich gewusst hätte, wann du heimkommst, hätte ich schon angefangen zu kochen. Ich mache uns sofort etwas. Du bist doch sicher hungrig. Schnitzel, das geht ganz schnell. Du magst doch Schnitzel.» Und gleich weiter, ohne auf eine Antwort zu warten.
«Mit frischen Pilzen und Zwiebeln und Röstkartoffeln und dazu Maissalat.»
«Mit Thunfisch und Zwiebeln», sagte ich. Sie lachte und huschte in die Küche.
«Nur mit Zwiebeln und Sauerrahmdressing.» Es war schon merkwürdig, wie vertraut das alles bereits war. Aber Gewissheit war auch nicht zu verachten. Frau – Schmitt. Man durfte Hamachers Instinkt oder seine Berufserfahrung nicht unterschätzen.
«Während du dich um das Essen kümmerst», sagte ich,«ziehe ich mir etwas Bequemeres an.» Eine glaubwürdige Erklärung für die Schlafzimmertür, die ich dann hinter mir schloss. Ihr Handtäschchen lag nicht mehr auf meinem Bett, aber ihre Reisetasche war nicht abgeschlossen. Die gefaltete, leere Plastiktüte und der prall gefüllte Geldgürtel lagen obenauf. Das rote Täschchen steckte an der Seite. Sein Inhalt war dürftig. Eine Dreimonatspackung Antibabypillen, in der sich zwei volle und ein angebrochener Streifen befanden. Was mich wohl ein bisschen wunderte, weil sie doch warten wollte, bis sie sich ihrer Gefühle für einen Mann völlig sicher war. Warum hatte sie dann bereits angefangen, ein Verhütungsmittel zu schlucken? Sie hatte doch bestimmt nicht einkalkuliert, beim Europatrip den Mann fürs Leben zu finden. Andererseits mochte es medizinische Gründe geben, meine Schwester hatte vor Jahren auch behauptet, sie brauche die Pille, weil sie einen unregelmäßigen Zyklus hätte und eine entzündliche Akne. In Candys Geldbörse steckten ein Fünfzigmarkschein, ein paar Münzen und mein Kfz-Schein, hübsch in der Mitte geknickt, was ich bisher vermieden hatte. Aber die Börse war wirklich winzig. Außerdem fand ich einen Taschenkalender mit dem Werbeaufdruck einer Versicherung und einem herausnehmbaren Adressenverzeichnis. Ich blätterte es durch, es enthielt nur die
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