Ein süßer Sommer
musste ein Taxi nehmen, weil mein Auto nicht ansprang. Als ich unten reinkam, sah ich Candy zufällig im Aufzug und fragte mich, was sie hier wollte.»
«Das wusstest du doch», stellte Hamacher fest.
«Sie sucht einen früheren Bekannten ihrer Mutter. Warum?»
«Habe ich Frau Grubert doch schon erklärt», sagte ich.
«Ich weiß es nicht.»
«Na schön», meinte Hamacher, steuerte dabei bereits das Vorzimmer an und teilte noch mit:
«Ich muss weg. Da ist ein Band. Die ersten Minuten fehlen. Den Rest schaust du dir bitte an, wir reden darüber, wenn ich mehr Zeit habe.» Sehr wichtig war es ihm offenbar nicht, sonst hätte er einen Termin genannt, mich eventuell sogar dazu verdonnert, zu bleiben, bis er zurückkäme. Aber er wusste ja auch nicht, wo Candy derzeit ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Sein Büro war seit geraumer Zeit mit einer Videoanlage ausgestattet. Zwei fest installierte Kameras, von denen eine auf die beiden Sessel vor seinem Schreibtisch und die andere auf die gemütliche Sitzgruppe in der Ecke gerichtet war, sowie ein kleiner Monitor zur Wiedergabe. Der Monitor war im Schreibtisch eingebaut. Man sah ihn nur, wenn man auf Hamachers Platz saß. Auch die beiden Kameras stachen nicht unbedingt ins Auge, obwohl sie für heutige Verhältnisse fast klobig waren. Eine steckte im Schreibtisch, da musste nur die Abdeckung vom Objektiv entfernt werden, das geschah automatisch, wenn Hamacher aufs Knöpfchen drückte. Und es fiel nur auf, wenn man das Möbel genau betrachtete. In geschlossenem Zustand unterschied sich die Abdeckung nicht von den anderen Schnörkeln oder Rosetten, mit denen Hamacher die Rückseite seines Schreibtischs zur Tarnung hatte ausstatten lassen. Die zweite Kamera befand sich in einer Vitrine hinter der Maske eines afrikanischen Medizinmannes, so sah die Fratze zumindest aus. Auch die hatte Hamacher eigens für diesen Zweck anfertigen lassen. Er benutzte die Anlage selten, eigentlich nur bei privaten Auftraggebern, die vielleicht ganz etwas anderes wollten als das, was sie vorgaben. So einen Fall hatten wir gehabt, als ich gerade erst ein paar Monate dabei war. Ein verlassener Ehemann suchte seine Frau und die beiden Kinder, weil er angeblich fürchtete, der neue Partner seiner Frau habe mit den Kleinen Übles im Sinn. Er wolle sich nur überzeugen, dass es den Kindern gut ginge, hatte er sein Ansinnen begründet. Philipp Assmann spürte die Familie auf. Hamacher leitete die Adresse an den Auftraggeber weiter. Und zwei Tage später waren Frau und Kinder tot, kaltblütig erstochen vom besorgten Ehemann und Vater, der dann auch noch versuchte, das Blutbad dem neuen Lebenspartner in die Schuhe zu schieben, und Hamacher als Zeugen für seine väterliche Besorgnis benannte.
«Du siehst den Leuten ins Gesicht», hatte Philipp Assmann gesagt.
«Aber hinter die Stirn kannst du ihnen nicht blicken.» Natürlich nicht, Hamacher meinte jedoch, wenn man sich die Stirn oft genug anschaue, auf Gestik, Mimik und Wortwahl achte, bekäme man vielleicht doch den Durchblick. So betrachtet war es eine reine Vorsichtsmaßnahme, dass er die Anlage bei Candy in Betrieb genommen hatte. Bei Leuten, die man nicht kannte, sollte man immer vorsichtig sein. Ich machte es mir hinter Hamachers Schreibtisch bequem, schob die Abdeckung des Monitors beiseite und musste danach nur zwei Knöpfe drücken. Gleich darauf erschien Candy auf dem Monitor. Sie saß auf der Couch der Sitzgruppe, die Beine züchtig zusammengestellt, was bei dem kurzen Rock aber nicht viel half. Vor ihr auf dem Tisch stand weder eine Tasse noch ein Glas. Ungewöhnlich, normalerweise bekam jeder Besucher von Hamacher umgehend ein Getränk offeriert. Das rote Handtäschchen hielt sie geöffnet im Schoß, kramte darin und zog ein Foto heraus. Sie hatte ihm wohl schon einiges erzählt, ehe er die Anlage in Betrieb nahm und sich ebenfalls zur Sitzecke begab. Er nahm in einem der Sessel Platz und betrachtete ungeniert ihre nackten Schenkel. Als sie ihm das Foto reichte, fand er endlich einen Fluchtpunkt für seine Augen. Candy zupfte am Rocksaum, vergebens natürlich, länger wurde das Röckchen davon nicht. Ihre Stimme klang kühl und sachlich.
«Das ist der Mann.» Es musste sich um das Foto handeln, das sie ihrem Handtäschchen entnommen und unter den abgelösten Einband des Gebetbuchs geschoben hatte. Wer darauf abgebildet war, konnte ich nicht erkennen, dafür war der Monitor zu klein. Aber ich sah, dass Hamacher für einen Moment irritiert
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