Ein süßer Sommer
elenden Zustands hatte sie gehört, dass ich hereingekommen war. Sie richtete sich auf. Den linken Arm hielt sie vor den Magen gepresst, ihr Gesicht war ein einziger Jammer.
«Tut mir Leid, Mike, ich wollte dich nicht wecken. Es sind die Schnecken. Ich kann so etwas nicht essen. Aber ich wollte vor ihm auch nicht dastehen wie Klein-Doofi.» Sie schloss die Augen, darunter hatten sich schwarze Kränze aus Wimperntusche ausgebreitet.
«Himmel, ist mir schlecht», murmelte sie.
«Bist du so lieb und holst mir eine Cola? Ich glaube, ich komme jetzt nicht hoch. Ich habe nämlich auch noch einen Schwips. Er hat Wein bestellt zum Essen, drei verschiedene Sorten. Ich dachte schon, ich würde den Abend nicht überleben.» Wein bestellt, das klang nach einem Restaurant. Mir war nach einem erleichterten Aufatmen. Sie blieb auf dem Steinboden sitzen, bis ich ihr die Cola brachte und sie das Glas gut zur Hälfte geleert hatte. Anscheinend ging es ihr danach etwas besser. Sie lächelte wieder, stieß die Luft aus.
«Ein Glück, dass mir das nicht vor einer Stunde passiert ist. Da hätte ich einen schönen Eindruck gemacht.» Anschließend versuchte sie, auf die Beine zu kommen, meine Hilfe lehnte sie ab, wollte mich zurück ins Bett schicken.
«Leg dich nur wieder hin, Mike. Ich wasche mir das Gesicht und putze mir die Zähne, dann lege ich mich auch hin. Ich erzähle dir morgen, wie es war. Es war nämlich beschissen.» Obwohl ich mir kurz zuvor noch das Gegenteil gewünscht hatte, tat es gut, das zu hören und sie dabei anzuschauen, das blasse Gesicht, die schwarzen Kränze unter den Augen, den ganzen Jammer. Als sie aufrecht stand, musste sie sich an der Wand abstützen. Ich fand es verantwortungslos von Gerswein, einem jungen Mädchen derartige Mengen von Wein einzuflößen und dazu auch noch Schnecken. Aber zum Glück war ihr Bett auf der Couch fertig. Ich überzeugte mich, dass Kopfkissen und Decke ordentlich lagen und das Laken stramm gezogen war. Damit war ich noch beschäftigt, als sie aus dem Bad kam. Das Streublümchenkleid über dem linken Arm, in der rechten Hand die Sandaletten, auf dem Leib nur noch ein Fleckchen weißer Spitze. Das Kleid legte sie achtlos in einen Sessel, die Schuhe ließ sie auf den Boden fallen. Natürlich sah sie das Gebetbuch. Ich hatte es, weil ich es nicht zurück in sein Versteck legen konnte, unters Kopfkissen platziert, wo es mit einer Ecke herauslugte. Aber sie verlor kein Wort darüber, kroch unter die Decke und ließ sich von mir die Enden unter den Schultern feststecken. Dabei spürte ich, dass sie zitterte. Ihr Lächeln fiel so kläglich aus.
«Du bist lieb, Mike. Und ich bin doof. Daraus wird nie etwas. Er war so furchtbar …»
«Erzähl es mir morgen», sagte ich. Sie schüttelte den Kopf, ihre Unterlippe zuckte, als wolle sie weinen.
«Er war so arrogant», flüsterte sie. Noch ein langer Seufzer.
«Mir ist immer noch schlecht, Mike.»
«Es geht vorbei, wenn du still liegen bleibst», sagte ich. Sie nickte flüchtig. Ich ging zurück ins Schlafzimmer, legte mich ins Bett. Nebenan war es still, aber nicht sehr lange. Ich hörte sie erneut ins Bad laufen, wartete schon auf das Würgen, aber stattdessen rauschte die Dusche los. Und auch das nahm kein Ende. Nach zwanzig Minuten stand ich auf, um nachzusehen, was sie trieb. Sie stand unter der Dusche, wo auch sonst, mit dem Rücken gegen eine Seitenwand der Kabine gelehnt. Ich sah sie schemenhaft durch die Milchglasscheibe der Schiebetür.
«Was machst du denn?», fragte ich.
«Willst du die ganze Nachbarschaft aufwecken?»
«Ich habe das Handtuch vergessen, Mike.» Ihre Stimme war so dünn.
«Stell das Wasser ab», verlangte ich, nahm eines von den großen Badetüchern aus dem Regal und schob die Tür der Kabine zur Seite. Sie war atemberaubend. Die braune Haut mit Wasserperlen übersät, kleine Rinnsale liefen von den Schultern zu den Brüsten und weiter über den flachen Leib nach unten. Ich hielt ihr das Tuch mit ausgebreiteten Armen entgegen, aber sie rührte sich nicht. Die Augen übernatürlich groß, die Stimme nur ein Flüstern.
«Darf ich bei dir schlafen, Mike? Bitte, ich kann jetzt nicht allein sein, dann heule ich bestimmt die ganze Nacht. Auf so eine Pleite war ich einfach nicht gefasst.» Ich nickte nur, und sie trat endlich einen Schritt nach vorne, ließ sich in das Tuch wickeln, lehnte sich gegen mich. Ihre Arme waren immer noch nass, als sie beide um meinen Nacken schlang.
«Küss mich, Mike, bitte.»
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