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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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an ihrem Arm festhielt. Phyllida in diesem Licht zu sehen – man brauchte Zeit, um das zu begreifen. »Sie hat von Phyllida geredet«, sagte Frances. »Ich weiß«, sagte Sylvia.
    An der Tür zum Saal konnte man sehen, dass er gerammelt voll war und dass es aussichtslos war, hineinzugelangen, aber Rose und Jill waren Ordnerinnen, und beide trugen tellergroße Rosetten in den Farben Simlias. Rose schrie begeistert auf, als sie Frances sah, und rief in das Ohr, das sie ihr zuneigte: »Es ist wie ein Abend mit der alten Familie, alle sind da.« Als sie Sylvia sah, verzog sie unwillig das Gesicht. »Ich weiß nicht, warum du glaubst, dass du einen Platz bekommst. Ich habe dich noch nie bei einer von unseren Demos gesehen.«
    »Mich hast du auch noch nie gesehen«, sagte Frances. »Ich hoffe jedoch nicht, dass ich deswegen auch ein schwarzes Schaf bin.«
    »
Schwarzes
Schaf«, höhnte Rose. »Nicht zu fassen.«
    Sie trat beiseite, ließ Frances und gezwungenermaßen auch Sylvia vorbei und sagte: »Frances, ich muss mit Franklin sprechen.«
    »Solltest du dich nicht lieber an Johnny wenden? Franklin wohnt bei ihm, wenn er in London ist.«
    »Johnny erinnert sich offenbar nicht an mich – aber ich habe doch zur Familie gehört, oder? Eine
Ewigkeit

    Gebrüll erhob sich. Die Redner, ungefähr zwanzig, drängten zum Podium, darunter Johnny mit Franklin und anderen Schwarzen. Als Franklin Frances sah, die sich bis nach vorn gedrängt hatte, sprang er lachend vom Podium herunter, weinte beinahe, rieb sich die Hände: Er war vor Freude ganz aufgelöst. Nachdem er Frances umarmt hatte, sah er sich um und sagte: »Wo ist Sylvia?«
    Franklin starrte eine dünne junge Frau mit glattem, blondem, aus einem blassen Gesicht gebundenem Haar und einem hochgeschlossenen schwarzen Pullover an. Sein Blick schweifte ab, wanderte davon, kehrte zweifelnd zurück.
    »Aber Sylvia ist doch hier!«, schrie Sylvia über das Getöse aus Klatschen und Geschrei hinweg. Gleich über ihnen auf dem Podium standen die Redner und winkten mit den Armen, rangen über ihren Köpfen die Hände und schüttelten sie, grüßten mit geballter Faust ein Wesen, das offenbar dicht über den Köpfen des Publikums schwebte. Sie lächelten und lachten, saugten die Liebe der Menge auf und schickten sie in heißen Strahlen zurück, die man regelrecht sehen konnte.
    »Hier bin ich. Du hast mich vergessen, Franklin.«
    Nie hatte ein Mann enttäuschter ausgesehen als Franklin in diesem Moment. Jahrelang hatte er das kleine, flauschige Mädchen im Kopf gehabt, wie ein frisch geschlüpftes gelbes Küken, so süß wie die Jungfrau und die Frauengestalten auf den Heiligenbildern in der Mission. Dieses strenge, ernste Mädchen tat ihm weh, er wollte sie nicht anschauen. Doch dann kam sie hinter Frances hervor und umarmte ihn und lächelte, und für einen Moment konnte er denken: Ja, das ist Sylvia …
    »Franklin!«, riefen sie vom Podium.
    In diesem Moment tauchte Rose auf und wollte ihn unbedingt umarmen. »Franklin. Ich bin’s, Rose. Erinnerst du dich?«
    »Ja, ja, ja«, sagte Franklin, der an Rose zwiespältige Erinnerungen hatte.
    »Ich muss dich treffen«, sagte sie.
    »Ja, aber ich muss jetzt rauf.«
    »Ich warte nach der Versammlung auf dich. Es ist zu deinem Vorteil, denk daran.«
    Er kletterte hinauf und war jetzt ein glänzendes, lächelndes schwarzes Gesicht zwischen anderen und neben Johnny Lennox, der wie ein räudiger alter Löwe aussah, was ihm aber Würde verlieh, und der seine Anhänger unten im Publikum mit einem Schütteln der Faust begrüßte. Franklins Blick streifte immer noch durch den Saal, als wäre irgendwo da unten die alte Sylvia, aber dann starrte er dorthin, wo die echte Sylvia saß, auf einem Platz ganz vorn, und fühlte sich in diesem Moment einsam und verlassen, und Sylvia winkte ihm zu und lächelte. Und das Glück strahlte wieder aus seinem Gesicht, und er breitete die Arme aus und umarmte die Menge, aber eigentlich umarmte er sie.
    Siegesfeiern nach einem Krieg sagen nicht viel aus über tote Soldaten; eigentlich wird sogar ziemlich viel über die toten Genossen gesagt und gesungen, »die den Sieg errungen haben«, aber der Beifall und die lauten Gesänge dienen dazu, dass die Sieger die Knochen vergessen, die in Felsspalten auf einem
kopje
liegen oder in einem Grab, das so flach ist, dass die Schakale es finden und die Rippen verstreuen, die Finger, einen Schädel. Hinter dem Lärm liegt eine anklagende Stille, die sich bald mit

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