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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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kommen, und Julia war einverstanden.
    Inzwischen war Mrs. Philby im Haus und wollte wie die sieben Raben im Märchen wissen: »Wer hat in Colins Zimmer geschlafen?« Man sagte es ihr. Die alte Frau war derselbe Jahrgang wie Julia, und sie war genauso elegant und aufrecht in ihren ärmlichen, adretten, sauberen Kleidern: schwarzer Hut, schwarzer Rock, gemusterte Bluse. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nichts zu tun haben wollte mit dieser Welt, die ohne jeden Beitrag von ihr entstanden war. »Dann sind das Schweine«, sagte sie. Und Andrew rannte nach oben und stellte fest, dass eine Orange aus einem Rucksack gerollt war und auf dem Boden ein paar Croissant-Krümel verstreut lagen. Wenn dieses Maß an Schweinerei ausreichte, um Mrs. Philby aus der Fassung zu bringen – obwohl sie doch inzwischen eigentlich daran gewöhnt sein musste –, was würde sie dann zu dem Badezimmer sagen, in dem Sylvia und Julia kaum jemals Unordnung hinterließen? »Gott!«, sagte Andrew und stürmte nach oben, um die wilde Szenerie mit verspritztem Wasser und herumliegenden Handtüchern zu begutachten. Er raffte die Handtücher zusammen und ließ Mrs. Philby wissen, sie könne jetzt hineingehen, es sei nur ein bisschen nass.
    Andrew und Frances saßen am Tisch, als Wilhelm Stein erschien, Doktor der Philosophie und Buchhändler. Er ging gleich hinauf zu Julia, ohne die Küche zu betreten, und als er wieder herunterkam, blieb er lächelnd in der Tür stehen, respektvoll, charmant, ein älterer Herr, der auf seine Art so perfekt war wie Julia.
    »Es ist sicher nicht leicht für Sie, die Erziehung zu verstehen, der Julia zum Opfer gefallen ist – ja, so kann man es ausdrücken, denn ich glaube, dadurch ist sie vollkommen ungeeignet für die Welt, in die sie jetzt geraten ist.« Er sprach wie Julia ein perfektes Englisch, und Andrew verglich es mit dem lautstarken, kraftvollen, aufgeregten Französisch, das er letzte Nacht gehört hatte.
    »Setzen Sie sich doch, Dr. Stein«, sagte Frances.
    »Kennen wir einander nicht gut genug für Frances und Wilhelm? Ich denke doch, Frances. Aber ich kann mich jetzt nicht setzen, denn ich soll den Arzt holen. Ich habe meinen Wagen dabei.« Er war im Begriff zu gehen, aber offenbar hatte er das Gefühl, sich nicht angemessen erklärt zu haben, denn er drehte sich nochmals um und sagte: »Die jungen Leute in diesem Haus – Sie ausgenommen, Andrew – sind manchmal ziemlich …«
    »Grob«, sagte Andrew. »Das stimmt. Schreckliche Typen.« Dr. Stein quittierte seinen kleinen Scherz mit einer Verbeugung und einem Lächeln.
    »Ich muss Ihnen sagen, als ich in Ihrem Alter war, war ich auch ein schrecklicher Typ. Ich war – ein richtiger Rüpel.« Bei der Erinnerung verzog er das Gesicht. »Das denkt man vielleicht nicht, wenn man mich jetzt sieht.« Das Bild, das er bot, amüsierte ihn – und er bot es bewusst; eine Hand ruhte auf dem silbernen Knauf seines Stocks, und die andere war ausgestreckt, als wollte er sagen: Ja, schaut mich ganz genau an. »Wenn man mich sieht, fällt es sicher schwer, sich in mir einen … ich bin mit den Kommunisten durch Berlin gelaufen, mit allen Konsequenzen. Mit
allen
Konsequenzen«, betonte er. »Ja, so war das.« Er seufzte. »Ich glaube, niemand wird bestreiten, dass wir Deutschen zu Extremen neigen? Manchmal jedenfalls? Nun, dann war Julia von Arne ein Extrem, und ich war das andere. Manchmal vertreibe ich mir die Zeit und stelle mir vor, was ich mit einundzwanzig über Julia gesagt hätte, als sie noch ein Mädchen war. Und dann lachen wir zusammen darüber. Also, ich habe ja einen Schlüssel und lasse später den Arzt herein.«
     
    Im August kam ein Mann namens Jake Miller vorbei. Er hatte einen Beitrag von Frances gelesen, in dem sie darüber spottete, dass aufregende ausländische Dinge wie Yoga und I Ging, der Maharishi und Subud zurzeit in Mode waren. Die Redakteurin hatte gesagt, für die Sauregurkenzeit werde ein lustiger Beitrag gebraucht, und der wiederum hatte Jake Miller veranlasst, beim
Defender
anzurufen und Frances zu fragen, ob er sie besuchen dürfe. Die Neugier hatte an ihrer Stelle ja gesagt, und jetzt saß er im Wohnzimmer, ein großer, unendlich lächelnder Mann, der ihr mystische Bücher als Geschenk mitgebracht hatte. Bald sollten alle guten Menschen – oder besser: alle jungen guten Menschen – dieses Lächeln der grenzenlosen Liebe, des Friedens, des guten Willens tragen. Und Jake war ein Vorbote, obwohl er nicht jung war,

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