Ein süßer Traum (German Edition)
hat sein ganzes Leben in seiner Bibliothek gesessen und gelesen. Und wahrscheinlich die Zinsen seiner Kapitalanlagen berechnet.«
»Wie viel Geld mag Julia wohl haben?«
»Ich frage sie gelegentlich mal.«
Ein unangenehmer kleiner Zwischenfall unterbrach diesen Frieden. Eines Abends, als Frances zu Bett gegangen war, öffnete Andrew die Tür, und dort standen zwei junge Franzosen. Sie seien Freunde von Colin, und der habe ihnen gesagt, dass sie über Nacht bleiben könnten. Einer sprach ausgezeichnet Englisch, und Andrew sprach gut Französisch. Sie saßen bis spät in der Nacht am Tisch, tranken Wein und aßen, was auffindbar war. Währenddessen versuchten sie spielerisch, die Sprache des anderen zu üben. Einer von ihnen saß lächelnd da und hörte meistens nur zu. Anscheinend hatten Colin und sie sich bei der Weinlese angefreundet, dann war Colin mit ihnen nach Hause gefahren, in die Dordogne, und jetzt trampte er durch Spanien. Er hatte sie gebeten, seine Familie zu grüßen.
Sie gingen hinauf in Colins Zimmer und breiteten ihre Schlafsäcke aus, ohne das Bett zu benutzen, um so wenig Umstände wie möglich zu machen. Niemand hätte liebenswürdiger und kultivierter sein können als die beiden Brüder, aber am Morgen gerieten sie durch ein Missverständnis in Julias Badezimmer. Sie alberten herum, beklagten, dass es keine Dusche gab, freuten sich über so viel heißes Wasser, genossen das Badesalz und die Seife mit dem Veilchenduft und machten eine Menge Lärm. Es war erst gegen acht, denn sie standen auf ihrer Reise immer früh auf, um weiterzufahren. Julia hörte das Platschen und laute, junge Stimmen, klopfte, klopfte noch einmal. Sie hörten sie nicht. Aber schließlich öffnete sie die Tür und sah zwei nackte Jungen, einer saß in der Badewanne und machte Seifenblasen, und der andere rasierte sich vor dem Spiegel. Es folgte ein Sturm entsprechender Ausrufe, von denen
merde
der lauteste und häufigste war. Und dann wurden sie von einer alten Frau mit Lockenwicklern und in einem rosafarbenen Chiffonnegligé in einem Französisch angesprochen, das sie vor fünfzig Jahren in der Schule von wechselnden Mademoiselles gelernt hatte. Der Junge in der Badewanne sprang heraus und schnappte sich nicht mal ein Handtuch, um sich zu bedecken, der andere drehte sich mit dem Rasierer in der Hand und mit offenem Mund zu ihr um. Die beiden waren ganz offensichtlich zu sprachlos, um zu antworten, sie packten ihre Sachen und flohen nach unten, während Julia sich in ihr Schlafzimmer zurückzog. Als Andrew die Geschichte hörte, lachte er. »Wo hat sie denn dieses Französisch her?«, fragten sie. »Aus dem Ancien Régime, mindestens.« – »Nein, Louis Quatorze.« So witzelten sie beim Kaffeetrinken herum, und dann reisten die Brüder ab, um durch Devon zu trampen, denn das war Mitte der sechziger Jahre nach Swinging London besonders groovy.
Frances jedoch konnte nicht lachen. Sie ging zu Julia, und die alte Frau saß nicht wie gewohnt angekleidet und vornehm in ihrem Wohnzimmer, sondern in Tränen aufgelöst auf ihrem Bett. Als Julia Frances sah, stand sie auf, aber sie schwankte. Jetzt schlossen sich Frances’ Arme ganz von selbst um Julia, und was ihr bis dahin unmöglich vorgekommen war, war jetzt die natürlichste Sache der Welt. Das zerbrechliche alte Ding legte den Kopf an die Schulter der jüngeren Frau und sagte: »Ich verstehe das nicht. Mir ist klar geworden, dass ich nichts verstehe.« Sie schluchzte, wie Frances es bei ihr nicht für möglich gehalten hätte, befreite sich wieder aus Frances’ Armen und warf sich auf ihr Bett. Und Frances legte sich neben sie und hielt sie fest, während sie schluchzte und heulte. Das hatte offensichtlich nichts mehr damit zu tun, dass man ihr Badezimmer entweiht hatte. Als Julia ruhiger geworden war, brachte sie hervor: »Ihr lasst jeden herein«, und Frances sagte: »Aber Colin hat auch bei ihnen gewohnt.« »Das kann jeder sagen. Als Nächstes tauchen irgendwelche Schmutzfinken aus Amerika auf und sagen, dass sie Freunde von Geoffrey sind.« »Ja, das ist wohl mehr als wahrscheinlich, Julia. Meinst du nicht, dass es ganz schön ist, wie die jungen Leute so herumreisen – wie die Troubadoure …?« Aber das war wahrscheinlich nicht der beste Vergleich, denn Julia lachte wütend und sagte: »Die hatten ganz bestimmt bessere Manieren.« Dann fing sie wieder an zu weinen und sagte wieder: »Ihr lasst jeden herein.«
Frances fragte, ob sie Wilhelm Stein bitten solle zu
Weitere Kostenlose Bücher