Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)
ersten Seiten aus, dabei zieht mein Drucker, wie jetzt häufig, gleich eine ganze Menge von Papier ein und verstopft dabei. Übrig bleibt nach meinenRettungsversuchen eine einzelne Seite, die so fest in der Maschine steckt, daß ich sie nicht herauskriege, ohne fürchten zu müssen, daß sie zerreißt und alles endgültig unverbesserbar macht. Ich lasse einfach alles, wie es ist, schalte den Computer aus und setze mich vor den Fernseher (am nächsten Morgen kann ich die verklemmte Seite ziemlich problemlos herausziehen).
»Großstadtrevier«, Dauerbrenner. Wir essen schon Abendbrot, während der eine der Polizisten von der Wache ausgerechnet am Tag seines zehnten Dienstjubiläums noch in der Hand gefährlicher Entführer ist. Gerd hat aus den Resten unserer Hühnerbrühe eine Art fast fettloser Thai-Suppe gemacht, mit Kokosmilch, Zitronengras, Ingwer, die wunderbar schmeckt. Ein kleines Glas Rotwein genehmige ich mir – Alkohol hat zwar Kalorien, ist aber andererseits in kleinen Mengen genossen doch auch gesund …
Nachrichten: In Brandenburg wird es wieder eine rot-schwarze Koalition geben. – Im Irak starben mindestens fünfzehn Menschen bei USA -Luftangriffen. Drei Nationalgardisten wurden durch eine Autobombe getötet. Solche Meldungen hören wir uns inzwischen schweigend und kommentarlos an. Manchmal mache ich mir bewußt – was als Grundgefühl immer da ist –, daß dieser Krieg und der Konflikt zwischen Israel und Palästina Teile eines Verhängnisses sind, das auf uns zukommt und für das keiner ein Abwehrmittel kennt, und wenn er es kennte, könnte er es wegen des trostlosen Fanatismus aller Beteiligten nicht anwenden.
Wir sehen dann »Deine besten Jahre«, ein »Familiendrama«, das Dominik Graf 1998 inszenierte und das viele Klischees und Ungereimtheiten, auch überflüssige Dramatisierungen enthält. Martina Gedeck allerdings paßt in die Rolle der betrogenen Witwe viel besser als in die der Brigitte Reimann, die sie kürzlich gespielt hat. Und nach dem »heute journal« sehen wir sogar noch den USA -Thriller »Ein perfekter Mord« mit Michael Douglas, den ich, wie ich bald merke, schon einmal gesehen habe, ohne mich erinnern zu können, »wie es weitergeht«. Überraschend jedenfalls, und perfekt gemacht. – Nebenbei blättere und lese ich im jüngsten »Freitag«, der sich auf die sozialen Konflikte im neuen Deutschland konzentriert (»Reichtum vererbt sich, Armut auch«) und vor allem auf die schärfer hervortretende Spaltung zwischen Ost und West, eben aufgrund der im Osten um sich greifenden Armut und der voraussehbaren Folgen der Hartz- IV -Gesetze, aufgrund des Grolls im Westen über die immer weitergehenden Transferleistungen in den Osten, die nicht den erwünschten Effekt gehabt haben und haben (weil sie teils in den Westen zurückflossen, teils falsch eingesetzt wurden, wie Edgar Most, der Ost- und Westbanker, nicht müde wird zu erklären), und, nicht zuletzt, aufgrund kultureller Unterschiede, die wollen und wollen sich nicht einebnen und beruhen unter anderem auf unterschiedlichem Verhältnis zum Eigentum. Jedenfalls gibt es im »Freitag« ein Interview mit Lothar Bisky, dessen PDS in Brandenburg zweitstärkste Partei wurde, was aber Platzeck nicht daran hindert, wieder mit der CDU , Schönbohm, zusammenzugehen. Ferner ein kleiner aufschlußreicher Artikel, »Kohl und Köhler«: Bei einem »sorgfältig abgeschirmten Wahlkampfauftritt Kohls in Strausberg für die brandenburgische CDU « sagte der Kanzler der deutschen Einheit: Das mit den »blühenden Landschaften« habe er doch nur in der Euphorie der Wendezeit gesagt. Und ferner: »Es gab auch im Westen in führenden Industriepositionen Leute, die kein Interesse daran hatten, daß sich die Betriebe in der DDR entwickelten.« Statt dessen hätten manche Konzernlenker nur Interesse an den siebzehn Millionen Konsumenten in der Ex- DDR gehabt. Produktionskapazitäten brauchten sie nicht, weil es die im Überfluß gab. Köhler, der neue Bundespräsident, schreibt die Zeitung, habe als Kohls Staatssekretär im Finanzministerium alles gewußt und fast alles mitgemacht. Er fege die Verfassungswirklichkeit nun hinweg zugunsten des strengen Gebots der Ungleichwertigkeit aller Lebensverhältnisse.
Wie auch immer: Die Anfang der neunziger Jahre glaubten, die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West werde eine Generation dauern, und dafür verlacht und beschimpft wurden, erweisen sich als hoffnungslose Optimisten. Immer
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