Ein Tag im Maerz
Wort hervorbrachte, während man ihm Handschellen anlegte; aber sein Gesicht gehörte nicht Keon. Das konnte nicht sein. Tynice atmete mehrmals durch, um sich zu beruhigen, ehe sie antwortete.
Die Beamtin kehrte zurück und stellte vorsichtig eine Tasse Tee vor ihr ab. Tynice würde den Becher nie vergessen, nicht einmal im Greisenalter. Er war rot, und darauf stand: » IMMER NUR LÄCHELN «. Sie hätte ihn am liebsten gegen die Wand gepfeffert, doch sie beherrschte sich.
»Mrs. Hendry? Ich kann mir vorstellen, dass es ein großer Schock für Sie ist«, sagte der Beamte und streckte einen Arm über den Tisch aus. Tynice zog ihren Arm weg, damit er ihn nicht berühren konnte, denn hätte er sie berührt, hätte sie gewusst, dass diese Situation in einem gewissen Umfang wirklich war. Dass sie irgendwie in einen Vernehmungsraum auf der örtlichen Polizeiwache gelangt war und gesagt bekam, dass ihr kleiner Junge der Hauptverdächtige bei einer Morduntersuchung war.
Die Uhr tickte laut.
»Hören Sie«, sagte Tynice. »Ich glaube – ja, ich bin mir sogar sicher –, dass hier ein großer Fehler passiert ist. Mein Sohn ist ein guter Junge. Er ist nicht so wie die, die nachts auf unseren Straßen herumlaufen und Gangs angehören. Messer in der Tasche haben und Pistolen und was noch alles. Ich gehe in die Kirche, Sir, wenn Sie mir erlauben, dass ich das respektvoll anmerke. Ich habe ihn anders erzogen. Das habe ich auch zu Ihren Kollegen gesagt, die heute Nacht bei mir waren. Er würde so etwas einfach nicht tun …« Sie versuchte weiterzusprechen, doch da bemerkte sie etwas Feuchtes auf ihrem Gesicht.
Tränen. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihr aus den Augen gelaufen waren. Sie hatte nicht bemerkt, dass ihr Atem nun so schnell ging, dass er hörbar war. Sie hatte nicht bemerkt, wie sie zwischen den Fingern das Papiertaschentuch zerknüllte, schwarz von Mascara.
Der Beamte rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Nun, ich kann das nicht alles diskutieren«, sagte er, »aber Sie können Keon sehen, und danach erkläre ich Ihnen die nächsten Schritte der Untersuchung. Wir haben einen Raum, in dem Sie ihn sehen können, aber es wird ein Beamter anwesend sein. Möchten Sie Ihren Sohn sehen?«, fragte er, und seine Stimme hallte leicht durch den Raum.
»Ja, ja, natürlich möchte ich das«, erwiderte Tynice. Sie brauchte nicht zu überlegen. Sie wollte mehr tun, als ihn nur sehen. Sie wollte ihn retten. Ihn wegbringen, weil doch alles nur ein schrecklicher Fehler war und ihr kleiner Junge hier nichts zu suchen hatte. Sie musste an die Zeit denken, als er noch ein Baby war. An das erste Mal, als man ihn ihr im Krankenhaus in die Arme legte. Er hatte so laut geschrien, dass der gesamte Körper bebte. Sie erinnerte sich liebevoll, wie knubbelig er gewesen war, Ellbogen und Knöchel nur Grübchen, vergraben unter einer gesunden Masse aus jungem Fleisch. Sie erinnerte sich an seine winzigen Söckchen und an das erste Mal, als sie ihm zur Taufe eines Cousins einen kleinen blauen Anzug anzog. Sie erinnerte sich an seinen ersten Schultag. Wie komisch seine Knie unter den grauen Wollshorts ausgesehen hatten.
Dann schweiften ihre Gedanken zu seinem ersten Discobesuch, seiner ersten Fahrstunde und seinem Schulabschluss. Siedachte an seinen achtzehnten Geburtstag und daran, wie er seine Freundin Charlotte zu einem Grillfest mitgebracht hatte. Wie erwachsen er dabei aussah. Damals hatte sie geglaubt, jetzt hätten sie es geschafft. Sie hätten alles überstanden. Gemeinsam.
»Wenn Sie so weit sind, gehen Sie nach rechts durch die Tür in den Nachbarraum. Er wird dort sein und auf Sie warten«, sagte Inspektor Rusbin, stand auf und strich sich das Jackett glatt. Er nickte ihr zu und verließ den Raum.
Tynice blieb in dem Vernehmungsraum sitzen und starrte auf ihren Teebecher. Sie zitterte zu sehr, als dass sie ihn hätte zum Mund heben können. Nach drei Minuten und dreißig Sekunden stand sie auf und ging hinaus. Sie wusste genau, wie lange es gedauert hatte, weil die Uhr hoch oben an der Wand es ihr verriet. Tynice sagte sich, dass sie nach dieser Zeit genügend Kraft gesammelt haben müsste, um mit der Situation klarzukommen.
Erneut trat sie in den dunklen, nasskalten Korridor der Polizeiwache. Die Beamtin trat zu ihr und führte sie zum Nachbarraum. Sie hielt eine Hand auf dem Rücken, während sie durch die Tür in einen weiteren Schuhkarton traten.
Und dort saß Keon in Handschellen am weißen
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