Ein Tag im Maerz
fragte sich, ob es eine gute Idee war, darüber zu sprechen. Schließlich besuchte er Bryony, um sie aufzuheitern.
»Na, Max war daran beteiligt, Bry. Ist das okay? Ich glaube aber, es würde dir gefallen …«
Bryonys Gesicht war plötzlich wie verhangen. Ben drehte ihr den Kopf zu und entdeckte in ihren Augen wieder Trauer und Verletzlichkeit.
»Ja. Bitte erzähl mir davon.«
»Okay …« Ben zupfte an der Ecke der Bettdecke und sah zur Decke hoch. Er hatte einen Kloß im Hals. »Na ja, also im Grunde ist es so, dass ich der König der Kussjäger war, Bryony. Ich muss zugeben, das war ich. Und ganz gleich, wie lustig Max immer war, als Junge hatte er eine urkomische Angst vor Mädchen, wie viele kleine Jungen. Im Kindergarten hat er geweint, wenn ein Mädchen nur in seine Nähe kam oder ihn um einen Keks bat oder so was.«
Bryony lachte stillvergnügt in sich hinein und schob sich ein bisschen näher an Max’ besten Freund, jemanden, der ihn womöglich besser gekannt hatte als sie, wenn sie ehrlich war. Jemanden, der mit ihm im Sandkasten gesessen und ihm die Pausenmilch geklaut hatte. Jemanden, der ihn einmal nach einer durchzechten Nacht auf der Schulter nach Hause getragen und dann mit schwarzem Edding das Gesicht bemalt hatte, während er schlief. Sie wusste, dass Ben nur ungern über Max sprach, weil er fürchtete, er könnte Bryony traurig machen, doch siewollte alle diese Geschichten hören – sie wollte die Lücken füllen und das Gefühl bekommen, sie wüsste über den Mann, den sie geliebt hatte, alles, was es zu wissen gab.
Ben lächelte versonnen. »Am Ende habe ich ihn überredet, mit uns Kussjagd zu spielen. In jeder Mittagspause versteckte er sich im Gang vor der Cafeteria, um dem Ganzen zu entgehen, aber irgendwann habe ich ihn dazu gebracht mitzumachen. Und dann, als das ›beliebteste‹ Mädchen in der Schule, Sonya Lockhurst hieß sie, glaube ich, ihn küssen wollte, da hat er … er …« Vor Lachen brachte Ben den Satz nicht zu Ende.
»Was hat er? Komm, sag’s schon!«, rief Bryony und zupfte ihm gespannt am Ärmel seines T-Shirts.
»Er hat sich nassgemacht!«
Trotz seiner ansonsten unzweifelhaften Männlichkeit kreischte Ben vor Lachen und krümmte sich auf dem Bett zusammen.
Bryony lachte so heftig, dass sie schnaubte, und das war ihr im nächsten Moment peinlich.
»Das hat ihn immer wieder eingeholt, Bry. Er trug kurze beige Shorts, und jeder konnte es sehen.« Ben beruhigte sich plötzlich und spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er kämpfte dagegen an. Er musste stark sein für Bryony.
»Ahhh, das ist wirklich herrlich!«, rief sie und empfand ein vertrautes Gefühl: den sehnsüchtigen Schmerz, der auftrat, wann immer sie Max vermisste.
Er trat oft auf.
»Bis in die Teenagerzeit ging es nicht. Nicht mit dem Nassmachen natürlich, aber mit seiner Angst vor Mädchen. Flaschendrehen ging mit ihm gar nicht.« Ben war todernst; er erinnerte sich an Max bei den Partys in der zehnten Klasse, wenn er einen roten Plastikbecher voll Bier hielt und verzweifelt versuchte, seine Unsicherheit hinter seinem Markenzeichen,seinem frechen Grinsen, zu verbergen. Das Ironische war, dass ausgerechnet seine süße Schüchternheit ihn bei den Mädchen umso beliebter machte.
Ben hatte zugesehen, wie er sich von einem schüchternen Knaben zu einem jungen Mann mit geradezu radioaktiver Selbstsicherheit entwickelte.
Bryony dachte an das erste Mal zurück, als Max und sie sich küssten. Die Initiative war von ihr ausgegangen. In der Küche bei einer Hausparty in einem Meer aus Bierflaschen, Schüsseln mit altbackenen Käsestangen und den Luftschlangen vom Tischfeuerwerk. Sie erinnerte sich mit einem Mal, dass sie seine Hand gehalten hatte, als sie ihn küsste, und bemerkte, dass er zitterte. Einen kurzen Augenblick war es ihr vorgekommen, als litte er Todesangst.
Bryony kam es vor, als gäbe es über Max noch viel zu lernen, und gleichzeitig empfand sie in der Magengrube eine übelkeitserregende Sehnsucht nach ihm. »Gott, ich vermisse ihn so sehr«, sagte sie und drängte sich enger an Ben, als hoffte sie, ein wenig von Max’ jugendlicher Energie von ihm aufnehmen zu können.
Ben bemühte sich angestrengt, die monströsen Gefühle niederzuringen, die ihm die Kehle zuschnürten und dort einen Kloß bildeten, der es ihm schwer machte, zu schlucken oder zu sprechen. »Ich auch, Bryony. Ich verstehe dich vollkommen«, sagte er, hob den Arm und schob ihn unter ihren
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