Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
Vom Netzwerk:
Gedankelautete, dass ihre Mutter eindeutig nicht wohlhabend war und es vielleicht in vielerlei Hinsicht schwer hatte. Natürlich war es nur eine Vermutung, aber sie lag mit ziemlicher Sicherheit richtig.
    Rachel hatte ihrer leiblichen Mutter einen einfachen Brief geschrieben, in dem sie erklärte, wer sie war, und ihre Handynummer angab. Als Lisa zwei Wochen lang nicht auf der Nummer anrief, hatte sich Rachel schon gefragt, ob sie es sich mittlerweile anders überlegt hatte. Doch letzten Sonntag war eine SMS auf ihrem Handy angekommen, bei der ihr sofort die Tränen in die Augen gestiegen waren. Allerdings keine Tränen der Freude oder der Traurigkeit, sondern eher des Unglaubens darüber, dass es wirklich geschah. Die SMS hatte nur gelautet: HI RACHEL, ICH BINN DEINE ECHTE MUTTER STIMMT. TRÄFFEN WIR UNS BALD?
    Das war alles. Eine Nachricht in fehlerhafter Rechtschreibung und Zeichensetzung von einer Fremden. Kein Kuss am Ende. Fast erschien sie Rachel zu beiläufig, aber was erwartete sie? Irgendeine zerknirschte Entschuldigung? Ein paar Emoticons vielleicht mit verlegenen Gesichtern?
    Für Rachel mochte all das neu sein, doch ihr war klar geworden, dass ihre Mutter schon vor Langem mit der Trennung ins Reine gekommen war. Ihre Mutter war eindeutig nicht besonders gebildet, was Rachel ihr nicht zum Vorwurf machte, weil nicht jeder das Privileg hatte, eine gute Schule besuchen zu dürfen   – aber sie hatte vielleicht doch etwas anderes erwartet. Sie hatte sich eine glamouröse Frau vorgestellt, voller Glanz, die sie in einem BMW -Cabrio abholte und ihr erklärte, dass alles nur ein Riesenfehler gewesen sei, den sie heute bedauerte. Sie hatte überlegt, ob ihre Mutter vielleicht so ein verrücktes Karrieremonster sei, die in jungem Alter ihr Kind weggegeben hatte, um ihren Ambitionen folgen zu können. Oder sie hatte sicheine hochintelligente Frau vorgestellt, mit der sie sich vielleicht anfreunden konnte; sie hatte von verlängerten Wochenenden in Italien geträumt, Einkaufstouren, gemeinsamem Spaß und einer richtig engen Beziehung   …
    Doch die SMS , die sie erhalten hatte, zeichnete ein ganz anderes Bild. Sie hatte Rachel Angst eingejagt und die Frage aufgeworfen, in welch anderen Bahnen ihr Leben hätte verlaufen können. Sie war immer davon ausgegangen, sie sei in die Welt Ritas und Edwards mit ihren teuren Autos, dem hübsch eingerichteten Haus und den Nippessachen aus Silber und Gold hineingeboren worden. Sie hatten sie angetrieben, damit sie aus allem herausholte, was nur möglich war, aus ihrer Ausbildung, aus ihrem Tanztalent   – was immer sie sich in den Kopf setzte, die beiden hatten hinter ihr gestanden.
    Wollte sie wirklich wissen, welcher andere Weg ihr hätte bestimmt sein können?
    Wäre sie trotzdem Balletttänzerin geworden? Hätte diese Lisa, ihre echte Mutter, sie kreuz und quer durchs Land zum Vortanzen gefahren wie Rita und notfalls sogar im Auto übernachtet, während Rachel an Übungstagen in prestigeträchtigen Schulen teilnahm, die oft bis in die frühen Morgenstunden gingen?
    Hätte Lisa sie überhaupt zum Tanzen ermutigt?
    Rachel wandte sich wieder der Bushaltestelle zu und bemerkte, dass alle, die dort gewartet hatten, nicht mehr dort waren. Vermutlich schon lange. Sie sah auf ihre Uhr: Eine ganze Viertelstunde hatte sie dagestanden und auf das Pflaster gestarrt. Sie blickte zum Himmel hoch. Er hatte sich bezogen und wirkte bedrohlich.
    »Na gut. Komm schon, wir ziehen das jetzt durch«, sagte sie sich leise, unsicher, zu wem sie sprach. Rachel war so nervös, dass ihr ganz einfache Dinge schwerfielen, das Überqueren der Straße zum Beispiel. Sie trat direkt vor einen Fahrradfahrer, derheftig ins Schwanken geriet, als er ihr auswich, und dann fast in ein Auto gefahren wäre, weil er ihr obszöne Gesten machte, während er weiterraste.
    Rachel öffnete ihre Handtasche und kramte nach der Karte, die sie sich ausgedruckt hatte, um die Wohnung ihrer Mutter zu finden. In Momenten wie diesen verfluchte sie den Trend zu großen Handtaschen. Sie ertastete eine absurde Auswahl nutzloser Dinge mit den Fingerspitzen: einen Flaschenöffner für den Notfall, ein Päckchen Marlboro Gold, ein Döschen mit hellblauem Lidschatten, sechs Kugelschreiber, ein Päckchen Haarbänder, fünf Feuerzeuge, den Korken einer Champagnerflasche, die sie irgendwann zur Feier des Tages geleert hatten, und den kleinen dreibeinigen Stoffesel, den Richard ihr als Glücksbringer geschenkt hatte. Rachels Besorgnis

Weitere Kostenlose Bücher