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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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sich zugemacht. Wir nähern uns mit Riesenschritten einer Ära der Kastengesellschaft, mit ihren Brahmanen und Schustern. Das ist ein großes Problem für unser Land. Obwohl der Staat so eine Bevölkerung einfacher lenken kann.
    Doch für den Staat ist das ebenfalls ein Problem, auch wenn er die Augen davor verschließen mag. Die Armen in den Krieg zu schicken, damit sie die Auseinandersetzungen der Reichen ausfechten, ist gefährlich. «Der Fisch gewinnt taktisch, wenn er den Wurm zu schmecken bekommt, aber er verliert strategisch, weil er am Haken hängt.»
    ***
    Die Veteranen sind wohl eines der isoliertesten Völker dieses zersplitterten Russland, vereint weniger in sozialer Hinsicht als vielmehr durch ihre gemeinsame Vergangenheit.
    In zehn Jahren sind 620 000  Menschen durch Afghanistan gegangen, heißt es. 15 400 davon wurden getötet, 39 000 verwundet. Ungefähr zweihundertsiebzig sind spurlos verschollen. Diese Zahlen sind korrekt, mit Ausnahme der Verluststatistik. Aber nicht deshalb, weil man sie verschweigen würde – man hat jene, die in Krankenhäusern in der U d SSR ihren Verwundungen erlagen, nur nicht zu den in der Republik Afghanistan Gefallenen gezählt. Sie wurden berücksichtigt, aber unter einer anderen Rubrik.
    Für Tschetschenien gibt es solche Daten nicht, das ist ein Geheimnis mit sieben Siegeln. Bedenkt man jedoch, dass die Gruppe der Streitkräfte auf dem Höhepunkt einhunderttausend Mann stark war, so kann man davon ausgehen, dass in zwölf Jahren achthunderttausend bis zu einer Million Mann durch Tschetschenien gegangen sind. Dazu die Einsätze aller möglichen Sondereinsatzkräfte und Bergungstrupps.
    Summa summarum mehr als anderthalb Millionen Veteranen aus diesen beiden Kriegen. Die Bevölkerung einer Großstadt. Die Bürger Russlands, die im letzten Bürgerkrieg gegen die föderalen Kräfte gekämpft haben, noch gar nicht eingerechnet.
    ***
    Man geht im Allgemeinen davon aus, dass die Armee einen Querschnitt der Gesellschaft abbildet. Irgendwann einmal, in einem anderen Land, als die Wehrpflicht tatsächlich noch allgemein verpflichtend war und Bürger (mehr oder weniger) aller Gesellschaftsschichten dienten, war das wohl auch so.
    Ein Gefährte von mir, Offizier der Spezialeinsatzkräfte, erzählte mir, dass in seiner Gruppe ein diplomierter Koch, ein Sanitäter, ein Friseur und ein Pädagoge einfache Soldaten gewesen seien.
    Ich habe mindestens fünf Bekannte, die als Soldaten in Afghanistan waren. Pascha ist Regisseur bei einem zentralen Fernsehsender. Der zweite leitet eines der größten Programme im selben Sender, als Produzent. Der dritte, der bei einer Detonation beide Beine verloren hat, arbeitet als Analytiker im Erdölbereich. Zwei sind Journalisten und Schriftsteller geworden. Sie alle waren einfache Soldaten, das betone ich. Rekruten. Und sie haben es geschafft.
    Von den Offizieren ganz zu schweigen. Erfolgreiche Geschäftsleute (im positiven Sinne des Wortes) gibt es einige unter ihnen. Das prägnanteste Beispiel ist Nikolaj Zwetkow. Er war als Flieger im Krieg, ist während des Zerfalls der Sowjetunion aus der Armee ausgeschieden und hat am Plechanow-Institut studiert. Heute ist er Millionär, Aktionär von Lukoil und Vorstand von Uralsib. Das wohl bekannteste Beispiel ist Sergej Guljajew, der Anführer des «Marsches der Unzufriedenen» in Sankt Petersburg.
    Ein klares Ziel ermöglicht klares Denken. Afghanistan haben wir nicht verloren. Dieser Krieg wurde durch eine politische Entscheidung in dem Moment beendet, als er schon fast gewonnen war. Und dieser Krieg hatte – aus Sicht der Geopolitik und des Imperiums – seinen Sinn. Ein Imperium muss a priori bemüht sein, seinen Einfluss auszudehnen. Und darum ging es. Deshalb halten die «Afghanen» sich nicht für Veteranen einer gescheiterten Armee. Die Heroisierung ist das Los siegreicher Kriege. Sie stimmt den Menschen auf Siege im späteren Leben ein.
    Paschas Geschichte ist dafür charakteristisch. Viele der «Afghanen» sind später erfolgreich geworden. Man findet sie heute nicht nur in der ehemaligen U d SSR , sondern auch in Europa (eine der größten Gemeinden ist in Deutschland) und in der Neuen Welt: in den USA und in Kanada. Viele «Afghanen» leben in Israel, wo sie das Spezialbataillon Alija gegründet haben. Leute von uns sind in Afrika und bei den UN -Friedenstruppen vertreten, in Minensucher-Bataillonen in Jugoslawien und sogar in der US -Armee im Irak. Ich persönlich kenne welche von ihnen,

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