Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
hochtrugen, blieb das Bein an einer Stufe hängen, er konnte es nicht mehr verhindern. Das war dann erst der richtige Schmerz.
Am nächsten lag Bagram, doch dort flog man Burkow nicht hin, sondern ins Sanitätsbataillon bei Kabul. Kolodij ließ extra den besten Traumatologie-Chirurgen in ganz Afghanistan holen.
«Von ihm hieß es: Wenn Kuzmitsch sagt, man muss den Kopf abschneiden und ihn dann wieder annähen – kein Problem, Kuzmitsch kann man vertrauen. Er erinnerte mich an Felix Edmundowitsch Dzierschinski. Und als ich ihn sah, fühlte ich mich irgendwie beruhigt … und verlor das Bewusstsein.»
***
Am anderen Morgen kam er zu sich und warf die Bettdecke zurück – die Reste seiner Beine in Gips. Der Beine, die er nicht mehr hatte.
«Aber ich bin nicht verzweifelt damals, habe mich ans Leben geklammert. Ich hab mich nicht gefragt, wie konnte das passieren, wie soll ich jetzt weiterleben. Ich hatte nur ein Bild vor Augen – ich bin jetzt wie Maressjew! Ich bin doch auch Flieger, worin sollte ich schlechter sein? Ach, zum Teufel mit denen, dachte ich dann. Ich mache mir neue Vorbilder! Und das hab ich gemacht.»
Er lächelt wieder.
Es war quälend schwer für ihn, wieder auf die Beine zu kommen, auch nur eine halbe Stunde zu sitzen mit den Prothesen. Aber Burkow war hart zu sich selbst. Er wusste, wenn er Selbstmitleid bekommt, wird er nie wieder auf den Beinen stehen. Und er beschloss: Er muss sich in eine Situation bringen, in der er gar nicht anders kann als zu gehen. Er fuhr nach Petersburg, zum Prothesen-Institut – allein, ohne Begleitung –, und war fast vierundzwanzig Stunden lang auf den Beinen.
«Meine Beine waren wie aus Holz. Dann kam der Moment, da ich mitten auf der Straße stand und keinen Schritt mehr tun konnte. Ich musste mich hinsetzen. Aber wo? Keine Bank, nichts in der Nähe. Also ging ich weiter. Und auf diese Weise, Schritt für Schritt, habe ich wieder gehen gelernt.»
Gehen lernte er dann so gut, dass die Prothesen es nicht aushielten; eine nach der anderen ging kaputt. Das Metall war nicht für die Lebensgeschwindigkeit gemacht, die er sich vorgegeben hatte. Auf künstlichen Beinen lief Burkow bald herum, tanzte, spielte Volleyball, fuhr Rad, sprang mit dem Fallschirm und lenkte ein Flugzeug. Ja, ja! Er ist doch noch ein zweiter Maressjew geworden – jedes Jahr kommt Walerij Burkow auf den Flughafen und steigt in die Lüfte.
«Ich bereue nichts. Nur einen Traum habe ich noch. Der ist natürlich unrealistisch, aber was soll’s. Wenn ich der Staat wäre, würde ich mich da hochschießen – der erste Beinlose … Außerdem bin ich Flieger, brauche weniger Vorbereitung als die anderen. Wenn sie mir sagen würden: ‹Zum Mars ohne Rückfahrschein!› – Teufel noch mal, ich würde fliegen!»
In den zwanzig Jahren seit der Verwundung hat Walerij Burkow sich bis zum Rang des Obersten hochgedient; er hat ein «Statut über die Gruppen der Luftwaffenkampfführung» geschrieben, das vom Verteidigungsministerium verabschiedet wurde und nach dem eine ganze Generation von Fliegerverbindungsoffizieren ausgebildet worden ist (niemand hatte zuvor etwas Derartiges in der Armee gemacht); er ist Held der Sowjetunion geworden, hat die Stiftung «Helden des Vaterlandes» gegründet, als Vorsitzender des Invalidenverbandes gearbeitet und ist Berater des Präsidenten für den sozialen Schutz behinderter Menschen gewesen. Er beförderte die Ausarbeitung einer «Verfügung über die Invaliden-Rehabilitation», eine «Verfügung über den barrierefreien Raum» und gesetzliche Änderungen an den Baunormen.
«Jelzin hat auf mich den Eindruck eines Menschen gemacht, der nachdenkt. Jedenfalls hat er uns nie eine Bitte abgeschlagen. Wir bekamen alles von ihm, was wir wollten.»
Seine Arbeit musste er mit ehrenamtlichen Tätigkeiten in Einklang bringen. Die Burkows lebten damals in Monino: aufstehen um sechs Uhr, anderthalb Stunden mit der Straßenbahn, und nach dem Dienst die Betreuung der «Schützlinge». Er traf sich mit allen «Afghanen» – den Invaliden der ersten und zweiten Gruppe –, vergaß keinen einzigen.
«Das persönliche Vorbild stärkt den Lebenswillen mehr als jede Psychotherapie. Mir schleppten sie im Krankenhaus immer Bücher an, darüber, wie andere Leute wieder auf die Beine gekommen sind. Viele Jahre später bin ich dann selbst ins Krankenhaus gegangen, zu den Tschetschenien-Jungs. Ich hab so einen Bekannten, der ist Arzt. Der ruft mich an: ‹Komm her, hier ist
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