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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Wohnung, angesehener Beruf. Als ich erfuhr, dass er Soldat in Afghanistan war, habe ich mich gewundert – so wenig passte er zu meiner Vorstellung von dem, was ein Veteran ist.
    Bei Paschas Geschichte stehen einem die Haare zu Berge. Er diente in der Aufklärung. Im Februar 1989 , als die Armee sich aus dem Gebiet der Demokratischen Republik Afghanistan zurückzog, wurde sein Zug beim Truppenabzug vergessen. Schlichtweg vergessen.
    Erinnert ihr euch an den historischen Moment, als General Gromow von einem Schützenpanzer kletterte, die Brücke der Freundschaft überschritt und sagte, jetzt sei kein einziger sowjetischer Soldat mehr auf der anderen Seite? Das stimmt nicht ganz. Hinter ihm waren noch Leute. Mindestens ein verlorener Zug.
    Aus Afghanistan mussten sie allein herausfinden, binnen Monaten. Dank ihrem Zugführer gelang es ihnen. Er führte sie bis zur Furt, an den Fluss Pjandsch. Und dort, am Ufer, hat er sich dann erschossen. Noch auf der anderen Seite, der afghanischen. Die Sowjetunion hat er nicht mehr betreten.
    Als ich Pascha kennenlernte, war ich schon seit fünf Jahren nicht mehr in der Armee. Ich glaubte, mein Krieg wäre Vergangenheit. Mir schien, ich hätte die Rückkehr geschafft, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Ich hatte den Krieg nicht vergessen, spürte ihn aber immer weniger in mir. Doch als Pascha seine Geschichte erzählte … Wäre damals jemand die Treppe an der Auffahrt des Ostankino-Geländes hochgekommen, wo wir unser Bier tranken, er hätte einen Schock bekommen. Zwei gutgekleidete Männer, Korrespondent und Fernsehregisseur, brüllten sich um zwei Uhr nachts mit verzerrten Gesichtern an und erzählten sich von ihrem Krieg. Unsere Masken fielen, wir wurden zu denen, die wir wirklich waren.
    Mit Pascha habe ich ungefähr ein halbes Jahr lang gearbeitet. Wir sahen uns täglich zehn Stunden. Aber wir unterhielten uns wenig. Meistens nur über die Arbeit: «Das Material muss geschnitten werden … Wir müssen noch mal dahin, zu Ende drehen.» Nicht, dass wir uns aus dem Weg gegangen wären; das Einzige, was uns verband, war eben der Krieg, und darüber konnten wir nicht jeden Tag reden. Und die dienstlichen Gespräche nahmen nicht so viel Zeit in Anspruch, wie man meinen könnte.
    Andere Themen interessierten uns wenig, jedenfalls fanden wir wenig gemeinsame. Wir waren einfach gute Kollegen. Ein Außenstehender hätte nie geahnt, dass wir diese Treppe hatten, die wir mehrmals im Monat hochstiegen, um dort aufzuhören, Mensch zu sein, und dass unser ganzes Leben lediglich eine Maske war und wir nur auf dieser Treppe wir selbst waren.
    Ich bin Pascha dankbar für diese Gespräche. Er trat zur rechten Zeit in mein Leben und half mir, nicht zu vergessen, wer ich bin. Er ließ mich nicht zu dem werden, den ich hasse. Obwohl er selbst das wahrscheinlich gar nicht ahnt. Wir treffen uns auch heute noch ab und zu. Aber zwischen den Begegnungen rufen wir uns nicht einmal an wie früher.
    Seither überkommt mich in einer Menschenansammlung jedes Mal ein seltsames Gefühl. Bis dato kamen alle Veteranen, denen ich im Leben begegnet war, und das sind sehr viele, im Leben schwer zurecht. Pascha zeigte mir einen neuen Aspekt – den erfolgreichen Veteranen. Das war es, was mich am meisten beeindruckte. Das wollte so gar nicht passen.
    Die Menschen, die uns umgeben – sind das wirklich Menschen? Oder sind es Schatten, die eine Menschenhülle übergezogen haben und, so wie wir, von Treppe zu Treppe leben? Du schaust in die Menschenmenge, und hier und dort bildet sich im menschlichen Strom ein Vakuum.
    Manchmal erkennt es dich und schaut dir direkt in die Augen.
    Im Grunde sind wir doch nichts als unsere Vergangenheit.
    ***
    Die soziale Mischung, die Integration aller gesellschaftlichen Schichten, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ein Volk sich als ein Ganzes wahrnimmt.
    Heute gibt es das eine Land meiner Meinung nach nicht. Es gibt Dutzende verschiedener Russlands – das bäuerliche, das Rentner-, Lehrer-, Obdachlosen-, Knast-, Armuts-, Wohlstands-, Manager-, Top-Manager-, Oligarchen-Russland. Die Machthaber.
    Es gibt keine Schnittmengen. Jeder lebt sein eigenes Leben. Ich habe noch nie gehört, dass ein Bauernsohn Manager bei Gazprom geworden wäre. Auch nicht, dass der Sohn eines Top-Managers von Gazprom in Tschetschenien gekämpft hätte.
    Nur ein ganz geringer Teil der «Niemands» hatte die Chance, ein «Jemand» zu werden, und hat dann gleich die Tür hinter

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