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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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leicht aus der Fassung zu bringen. Jede Kleinigkeit erschüttert mich. Und diese verdammte Sentimentalität. Zum Heulen!
    Das war doch ein guter Junge, einer jener naturwüchsigen Charaktere, die bei uns trotz allem immer noch auf die Welt kommen. Das Leben hatte ihn nicht gebrochen, es hatte ihn nur reiner gemacht. Die Würde, die Achtung für andere und die Ablehnung von Gewalt sind ihm auf unerklärliche Weise in die Wiege gelegt worden. Warum?
    Er hatte verstanden. Wartete noch – ob ich es am Ende gleichwohl sagen würde.
    Ich sagte es nicht. Wo soll ich denn hin mit dir, Junge?
    Eine neue Generation wächst heran. Für die nächsten Infanteriekompanien, die nächsten Panzerregimenter.

Der überflüssige Mensch aus der Pretschistenka
    Der dunkle Treppenabsatz ist derart vollgerümpelt, dass man sich nicht umdrehen kann. Zeitschriften, Schachteln, eine Kommode voller Sachen aus vorrevolutionärer Zeit. Die trübe, verstaubte Glühbirne an der niedrigen Decke. Wäre ich mit fünf Jahren hierhergekommen, hätte mich das begeistert. Geheimnisvoll und schrecklich wie in einer Piratenhöhle. Wäre ich vor fünf Jahren hierhergekommen, hätte ich es nicht ausgehalten – geschlossener Raum ohne Rückzugsmöglichkeit, eine Granate ins Fenster, und alles ist vorbei.
    Wohnung  2 a. Die mit Kunstleder verkleidete Tür hat Risse und Löcher. Instinktiv suche ich nach dem mit Kreide geschriebenen Hinweis: «Nicht schießen, hier wohnen Menschen.»
    Die Tür öffnet sich, und schon an der Schwelle schlägt mir der Krieg entgegen. Wie oft habe ich solche Behausungen in Tschetschenien gesehen – dunkel, vollgestopft mit russischen Flüchtlingen. Da ist so ein bestimmter Geruch … Ich habe lange nicht verstanden, wonach – in all diesen Wohnungen riecht es so. Dann habe ich begriffen: Das ist der Geruch der Überflüssigkeit.
    «Kommen Sie rein, bitte. Wir haben zwar eben erst Wasser heiß gemacht, um uns zu waschen … Wir sind Flüchtlinge …»
    Die Küche, so klein, dass man mit den Armen alle Wände erreicht, wenn man in der Mitte des Raums steht. Unterwäsche auf den Leinen. Eimer mit Wasser – auf Schemeln, auf der Kochplatte, auf dem Fußboden. Hauptsache, man hat Gas und Strom. Das ist lebenswichtig.
    Plötzlich überrollt mich dieses seltsame Gefühl, das mich im Krieg immer verfolgt hat. Als wärst du in einem Animationsfilm. Verstehst vom Kopf her, dass das alles Realität ist, dass dir das alles gerade geschieht – der schwarze Schutzraum der Wohnung, die russischen Flüchtlinge, die Aussichtslosigkeit, das alles ist wahr –, aber du willst es nicht glauben. Ist doch Unsinn. So etwas gibt es nicht. So können Menschen nicht leben zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Im Zentrum von Moskau. Am sechzigsten Jahrestag des Sieges.
    Ja, wir sind nicht in Grozny, sondern in Moskau. Mitten im Zentrum, Pretschistenka-Straße, Hausnummer  35 Schrägstrich drei. In diesem zum Abbruch bestimmten Gebäude – Wohnung kann man diese Behausung, in der es nicht mal ein Bad gibt, heute kaum nennen – hausen seit nunmehr zwölf Jahren ein Veteran des Großen Vaterländischen Krieges, der bis Berlin gekommen ist, und seine Frau. Russische Flüchtlinge, staatenlos.
    Jurij Timofejewitsch liegt auf einem alten, vorrevolutionären Bett. Die Gitterlehnen aus Metall, an den Seiten vom Rost zerfressen, quietschen bei jeder Regung. Auch wenn er sich nur noch wenig bewegt. Der Körper ist schwach geworden, jede kleine Handbewegung kostet ihn Mühe. Das Gesicht ist eingefallen, wächsern geworden, unter dem Haar zeigt sich gelbe Haut. In ihm ist kein Leben mehr. Solche Gesichter habe ich im Krieg bei Verwundeten gesehen.
    Ich sitze auf einem Schemel am Bett und schaue ihn an. Jurij Timofejewitsch ist Flüchtling. Er besitzt nichts, überhaupt gar nichts, nicht mal einen Pass. Vor mir auf dem Bett liegt ein kranker, von allen verlassener Russe, und das regt niemanden auf. Es war, als lebte er in einem Ghetto. Moskau mit seinen Lichtern, Jahrestagen, Paraden, Zuschüssen und Vergünstigungen – nicht für ihn. Er bekommt keinerlei Vergünstigungen, kann keine Ansprüche zu Geld machen.
    Vor einiger Zeit ist auf diesem Bett sein Frontkamerad, Träger des Alexander-Newskij-Ordens und zweier Rotbanner-Orden, Bataillonskommandeur Oberstleutnant Aparinzew, gestorben.
    «Dort ist sein Porträt», deutet Jurij Timofejewitsch.
    An der Wand hängen zwei Fotografien. Die eine zeigt einen jungen Burschen in Tarnuniform in den

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