Ein Toter hat kein Konto
selbst vorgeschlagen, aber der Alte ist ihr
nicht gefolgt. Entweder traut er seiner Tochter wirklich nicht über den Weg, und
es genügt, daß sie einen Namen nennt, damit er auf gut Glück einen anderen aus
dem Telefonbuch heraussucht; oder aber er vertraut Mercadier nicht. Sie müssen
nämlich wissen, daß die beiden, Flauvigny und Mercadier, sich mindestens einmal
begegnet sind. Wenn ich mich recht erinnere, hatte Mercadier eine sehr
eigenwillige Art, sich an den Arbeitskämpfen in Flauvignys Fabriken zu
beteiligen.“
„Sehr gut“, sagte Hélène. „Verstanden.“
„Und ich?“ fragte Reboul.
„Wenn Sie sich unbedingt ein paar Kröten
verdienen wollen, dann fahren Sie morgen früh nach Sceaux.“
Ich beschrieb ihm den genauen Ort, an dem sich
seine Nase und seine Lunge auf etwas gefaßt machen konnten.
„Sollte man Alis Leiche entdeckt haben, wird es das Gesprächsthema sein. Heute hab ich davon noch nichts gehört. Hoffen wir, daß
Sie mehr Glück haben! Imitieren Sie einfach den Wirt des komischen Bistros, in
dem ich war: Bleiben Sie stumm. Hören Sie zu, aber sagen Sie nichts. Ich für
meinen Teil werde genug damit zu tun haben, Faroux vom zufälligen Unfalltod des
Sohnes meines Freundes Flauvigny zu überzeugen. Ja, meines Freundes! Sie haben
richtig gehört. Und vergessen Sie dieses Detail nicht. Ich kann Florimond
unmöglich erzählen, daß ich für den Alten arbeite. Also sind wir uns zufällig
wieder begegnet — ich war ja früher mal in seiner Fabrik beschäftigt — , jeder
auf dem Gipfel seines Ruhms, und haben uns angefreundet. Das ist die
Geschichte, die ich Faroux auftischen werde, in der Hand den damaligen
Arbeitsvertrag als Beweis.“
Ich sah auf die Uhr. Wenn ich zum Hosenwechsel
noch bei mir zu Hause Vorbeigehen wollte, bevor ich Dumonteil abholte, mußte
ich mich beeilen. Ich verabschiedete mich von meinen Mitarbeitern.
Ein Taxi fuhr mich zu meiner Privatwohnung. Ich
zog mich um und stellte bei der Gelegenheit fest, daß meine Hose bei dem Sturz
ungelöschten Kalk abgekriegt hatte und nun völlig versaut war. Es betrübte mich
nicht übermäßig. Jetzt konnte ich mir ja eine neue Hose — und noch vieles mehr!
— leisten.
Apropos Geld: Ich dachte an die Scheine, die ich
mit mir herumschleppte. Einen großen Teil davon legte ich in eine kleine
Schatulle. Dann wühlte ich ein wenig in meinen Papieren und fand, schneller,
als ich gedacht hatte, die Bescheinigung, die ich nach drei Wochen Anwesenheit
in der Eisenhütte von der Personalabteilung der Tréfileries de la Seine bekommen
hatte. Das war inzwischen so einige Jährchen her.
Bevor ich hinausging, wollte ich Flauvigny noch
darüber aufklären, daß ich mich am nächsten Morgen mit Florimond Faroux von der
Kripo in Verbindung setzen würde. Meine Uhr zeigte kurz vor elf. Ich schnappte
mir das Telefon.
„Hier La Feuilleraie “, meldete sich die
Stimme des treuen Dieners.
„Guten Abend, Albert. Hier Martin.“
„Martin? Ach ja! Guten Abend, Monsieur.“
„Monsieur Gérard, bitte.“
„Ist es so wichtig, Monsieur? Wenn ich mir die
Bemerkung erlauben darf... Monsieur Gérard schläft sehr tief und...“
„Na, dann lassen Sie ihn schlafen!“ sagte ich
fröhlich. „Nichts Neues seit eben? Befürchtet der Doktor keine Komplikationen?“
„Ganz und gar nicht, Monsieur. Monsieur Péricat
hat Monsieur noch ein Beruhigungsmittel gespritzt und ist dann nach Hause
gefahren.“
„Na prima! Gute Nacht, Albert.“
„Gute Nacht, Monsieur.“
Ich legte auf und machte mich auf den Weg zu
Dumonteil in die Rue de Seine. Zu früh war ich bestimmt nicht dran. Ich war
sogar so spät dran, daß ich vor verschlossener Tür stand. Ich betätigte dreimal
den Lichtschalter und ebensooft die Klingel. Nur der Lichtschalter reagierte.
In der Wohnung rührte sich nichts. Mißtrauisch schnupperte ich am Schlüsselloch.
Es hätte ja sein können, daß auch Dumonteil den Gasverbrauch in die Höhe
schnellen ließ... Meine Nase nahm nichts Verdächtiges wahr. Ich gab’s auf und
ging wieder hinunter auf die Straße.
Zum Teufel mit Dumonteil! Mit Rolands
Mitgliedskarte würde ich auch ohne die Hilfe der treulosen Tomate in den Club
Antinéa gelangen.
Das Land von Durst und Angst
Antinéa... Antinéa... Das Neonlicht zitterte, ging aus, leuchtete
auf. In regelmäßigen Intervallen, so, als zwinkerte die üppige Königin von Atlantis
persönlich den Passanten zu, um sie anzulocken. Ich näherte mich der massiven
braunen Tür, hob den
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